und mehr als verdient, wenn man die Gesetze des Publikumsgeschmacks
zum Bewertungsmaßstab nimmt. Im pompösen Ton einer Urteilsverkündung
schrieb eine deutsche Illustrierte 1969, daß McGoohan mit
allen "geheiligten Krimitraditionen gebrochen habe". Sie
begründete dieses Verdikt wie folgt: "Es gab in keiner Folge der Serie eine Lösung. Nummer
Sechs war zu Beginn der Folge so gefangen wie am Schluß. Als
strenggläubiger Katholik lehnte McGoohan es ab, vor der Kamera
zu küssen, und verprellte die Zuschauerinnen, die sehen wollen, daß auch ein Supermann in den Armen einer Geschlechtsgenossin
schwach wird. Er lehnte es ab, mit einer Pistole über die Mattscheibe
zu huschen und langweilte die Männer, die Gegner unwiderruflich
ausgeschaltet wissen wollten."
So
hausbacken diese Einwände auch erscheinen mögen - unverständlich
sind sie nicht. Selbst das englische Publikum, seit den Avengers
(Mit Schirm, Charme und Melone) an Fernsehserien mit eigenwilliger
Note gewohnt, reagierte verständnislos, ja entrüstet auf
The Prisoner, und auch die britische Presse war bemerkenswert unsicher
in ihrer Einschätzung: "Bluff", schrieben die einen,
während andere glaubten, es mit dem "lebendigsten Kommentar
zur modernen Zivilisation in der Geschichte des englischen Fernsehens"
zu tun zu haben. Ein Mann, wahrscheinlich ein Geheimagent, wird
kurz nachdem er seinen beruflichen Rückzug eingeleitet hat,
in ein hermetisch von der Umwelt abgeriegeltes Städtchen -
"The Village" - verschleppt. Dort, in einer perfekt
aus lieblichen und bizarren Elementen gestylten Miniaturwelt, einem
Straflager im Erscheinungsbild eines Erholungsdorfs, kämpft
er einen ungleichen Kampf gegen totalitäre Macht- und Beugepraktiken,
zu deren Objekt er unvermutet geworden ist.
Ihre
vordergründige Spannung gewinnt die Serie aus diesen Fragen:
Wird es "Nummer 6" gelingen, diesem totalitären Mikrokosmos
zu entfliehen? Wird es seinen Gegnern gelingen, ihm den Grund seines
Rücktritts zu entlocken? Wer sind seine Gegner überhaupt,
allen voran die mysteriöse "Nummer 1" an der Spitze
des "Village", welche niemals selbst, sondern nur in stetig
wechselnden, mit der Nummer 2 gekennzeichneten, Stellvertreterfiguren
in Erscheinung tritt?
Rückblickend
erscheint die siebzehnte und letzte, unter sehr nervösen Produktionsbedingungen
entstandene Folge Fall Out (dt. Demaskierung) als
Schwachpunkt der Serie, nicht, weil sie eine "Lösung"
der vorangegangenen Handlung schuldig geblieben wäre, sondern,
im Gegenteil, weil sie einer sehr platten "Lösung"
Vorschub leistet. In einer kurzen Szene wird "Nummer 6"
gezeigt, wie er der vermummten "Nummer 1" die Maske abreißt
und darunter für einige Sekunden sein eigenes Gesicht zu sehen
bekommt. Unklugerweise gab McGoohan dem Erklärungsbedürfnis
seines Publikums nach und interpretierte diese Szene dahingehend,
daß es sein Anliegen gewesen sei, den "ewigen Kampf des
Menschen mit dem Bösen in sich selbst" darzustellen.
Als
bloße Bebilderung dieser Banalität wäre "Nummer
6" nicht der Rede wert, wohl aber ist sie es als ein höchst
subversiver Beitrag zur Gattung"Fernsehserie", deren Wirkungsmechanismus
hier gleichsam von innen heraus in Frage gestellt wird.
"Nummer
6" erschließt sich nur als radikale Absage an eine Ästhetik,
die das Scheinhafte als Wirkliches auszugeben versucht. Die mediale
Desinformation und Manipulation sind aber nicht nur Thema, sondern
zugleich Gestaltungsprinzip: Weder dem im "Village" mit
seinen Videowänden und Kameraaugen umherirrenden Protagonisten
noch dem Zuseher ist es möglich, zwischen Vermitteltem, und
dem, was als "unmittelbar" gesetzt wird, zu unterscheiden.
Die vielen makabren Pointen, die McGoohan dieser Konstellation abgewinnt,
wären nur schwer zu beschreiben, in erster Linie müssen
sie gesehen werden.
Es
hat seine Zeit gedauert, bis die avancierte Formsprache von The
Prisoner die ihr gebührende Beachtung fand. Erst Mitte
der 70er Jahre wurde die Serie zum sogenannten "Kultobjekt"
erhöht, woran der 3000 Mitglieder umfassende Fanclub "Six
of One Society" maßgeblichen Anteil hatte. Höhepunkt
der straff organisierten Aktivitäten dieses Vereins ist die
jährliche Wallfahrt nach dem Drehort von "Nummer 6",
das von dem exzentrischen britischen Millionär Sir Clough William-Ellis
erbaute Kunststädtchen Portmeirion in Wales.
Patrick
McGoohan, der Spiritus rector von "Nummer 6", lebt
seit langem in selbstgewählter Zurückgezogenheit, nur
wenig ist über ihn in Erfahrung zu bringen. Er taucht dann
und wann als Darsteller in einem B-Picture auf; 1982 wurde er von
der amerikanischen Polizei bei Los Angeles erwischt, als er mit
3,6 Promille über die Pazifik-Küstenstraße raste.
Einem hartnäckigen und unüberprüfbaren Gerücht
zufolge beschäftigt er sich seit Jahren damit, eine neue Fernsehserie
zu konzipieren.
Dave
Rogers: The Prisoner and Danger Man, 1989, Boxtree Limi ted,
36
Tavistock Street, London WC2E 7PB
The
Prisoner Videos, (8 Stück), Channel 5 Video Distribution, 1
Rockley Road, London W 14 ODL
SIX
OF ONE The Prisoner Appreciation Society
www.sixofone.co
Informationen, anfragen, mitgliedschaft
Society Details (ALLE ENGLISCH)
Die
adresse der Prisoner Appreciation Society SIX OF ONE wurde
aktualisiert.
Dieser
artikel erschien am 10.04.1992 in Der Standard, Wien, Österreich.
Mit dank an die redaktion für die genehmigung zur wiedergabe
an dieser stelle; ebenso dank an Adalbert Strebl für den hinweis. |