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THE TALLY HO - READ ALL ABOUT IT! |
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The Priso
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Hauptkriterium eines jeden künstlerischen oevres muss sein, auf eigenen beinen zu stehen, sprich, nicht ständig als die kopie, der nachfolger oder gar das plagiat von demunddem identifiziert zu werden. THE PRISONER (2009) hat es schwer, und zwar weil ihm THE PRISONER (1967) wie ein mühlstein am hals hängt. THIS TEXT IN ENGLISH DER ERSTE DEUTSCHE TALLY HO AUS ANLASS DER DEUTSCH TV-PREMIERE VON NUMMER 6 AM 16.08.1969 Niemand brauchte ein remake, seine urheber sprechen selbst lieber von neuschöpfung. THE PRISONER (1967) ist ein produkt seiner zeit und vor allem einer persönlichen vision, besser: einer obsession. Diese faktoren sind nicht reproduzierbar. Wenn schon, muss der stoff für heutige fernseherlebnis- und sehgewohnheiten einen mehrwert bieten, um mit dem vorbild mithalten zu können oder später daran gemessen zu werden. THE PRISONER (2009) schafft das leider nicht. Er hat nicht die formale und ästhetische innovationskraft einer serie wie 24, geschweige die verve eines manischen, charismatischen Jack Bauer in einer prototypischen Nummer-Sechs-rolle. Eher wirkt er somnambul, bisweilen plätschert die handlung dahin, weil keine wirklichen spannungsbögen geschlagen werden. Was wiederrum wenig wundert, wenn man ihn vom ende her betrachtet. Der berüchtigte "griff ins klo" - wie in einer US-besprechung zu lesen - ist dieser sechsteiler aber nicht. Mit zeitlichem abstand erst werden sich auch seine qualitäten besser erweisen. Einstweilen reicht es nicht für mehr als eine mittelprächtige note. Und qualitäten - 1-A-produktionsqualitäten, die gibt es: Florian Hoffmeisters cinematografie; der erste anblick des Villages im dämmerlicht ist magisch. Am rand der wüste gelegen und in warmen farben, dem wahren Village in Nord-Wales in nichts nachstehend. Ebenfalls das farblich wohl abgestimmte retrodesign von Michael Pickwoad. Und der soundtrack, den wir hier unbeachtet lassen müssen. Aber dann... Während im maßgeblich von Patrick McGoohan ersonnenen 1967er original der surrealismus zwischen den 24 filmbildern pro sekunde und durch die nur oberflächliche agenten-kidnappingsgeschichte sickerte, verliefen die plots, bis auf die allerletzte folge "Fall Out", dennoch weitgehend serienkonform. Man wusste wer, man wusste wo, man wusste was. Und wir sprechen hier nicht unbedingt von "sinn machen". 2009 zieht drehbuchautor Bill Gallagher nun alle register, um das publikum mit dem, was er für surrealismus hält, zu unterhalten. Unterhaltung ist freilich relativ. Er bedient sich bei allem, was an sogenannter mystery in den jahrzehnten seit der erstsendung des originals das licht von kinoleinwand und fernsehschirm erblickt hat. Populäre kultur lebt von der wiederkehr bei gleichzeitiger variation der ewig gleichen stoffe. Leider
gibt drehbuchautor Gallagher nirgends zu erkennen, um was es ihm
mit gerade diesem stoff ging, wie sein besonderer draht zum McGoohanschen
vorbild beschaffen ist. Beim federführenden sender AMC hatte
vermutlich nur die bilanzabteilung ein auge auf den paranoia-meets-surrealismus-klassiker
aus dem Kalten Krieg geworfen und sich von einem remake reputation
sowie natürlich einschaltzahlen versprochen. Schon
kurz nach dem hoffnungsvollen start in "Arrival" und der
fälligen hommage an das original (die wohnung des alten mannes,
93, ein part, den man Patrick McGoohan angetragen, er aber
abgelehnt hatte, sieht nahezu identisch aus wie 6 private,
mit lavalampe und Pennyfarthing) zieht drehbuchschreiber Gallagher
seine extrem sprunghafte erzählstruktur auf und parallelisiert
die handlungen im Village und in New York, mehr als seinem stoff
bekommt. Ein hin und her, und alles sieht slick aus. VERSCHENKT
Als zuschauer will man nicht dümmer sein als das drehbuch.
Also reimt man sich etwas zusammen, das dann am ende der knapp sechs
stunden kaum an deutlichkeit gewonnen hat. Jüngeres publikum
mag solches erzählen in schnipseln für normal halten.
Wer geradliniges action-abenteuer bevorzugt, wird von dieser sprunghaftigkeit
in jedem fall abgestoßen sein. Aber auch freunde eher experimentellen
erzählens werden abwinken. Dabei ist McGoohans original ein
einziges fragment, aber die narration ist selbst dort klar, wo "halluzinatorische"
oder "psychedelische" aspekte im vordergrund stehen wie
in der episode "Free For All", der hier, interessanterweise,
keine neuschöpfung zuteil wurde. Lose
enden und verschenkte möglichkeiten: Und weil der erzählmodus des sechsteilers auch nicht wie bei McGoohan die allegorie ist (was jemand wie George Markstein überhaupt nicht mochte), kann 6 folglich auch nicht als übermenschlicher held charakterisiert werden, bieten sich erzählerisch keine metaphern an. Man sollte stattdessen erwarten, dass (auf-) lösungen mittels sorgfältig aufgebauter plots herüberkommen. "ONCE YOU'RE A SUSPECT YOU'RE GUILTY"Bill
Gallaghers drehbuch bedient dabei durchaus themen, die denen im
original entsprechen und aller ehren wert sind: Vor allem in episode 3, "Anvil", ist der bezugspunkt viel weniger THE PRISONER als etwa Francis Ford Coppolas unterschätzter film THE CONVERSATION von 1972, worin ein von Gene Hackman gespielter abhörspezialist sich zunehmend in die folgen seiner sich gegen ihn wendenden diffizilen tätigkeit verstrickt sieht. Jedoch: Nichts wird richtig ausgearbeitet oder weiterverfolgt.
OBEY - JOHN CARPENTERS "THEY LIVE" (1988) UND AMC'S "THE PRISONER" (2009) Das privatleben von 2 erhält - aus gegebenem grund - im vergleich zu den anonymen Nummer Zweien von 1967 weitaus mehr gewicht: Er ist verheiratet, seine frau liegt - oder er hält sie - in einem künstlichen koma. Sein adoleszenter sohn ist schwul und zerbricht an den verhältnissen. Und wieder: All das ist dem drehbuch keine dramatisierung wert. Weder 6, der aussteiger, noch 2 laden als protagonisten zum grübeln, mitfühlen oder gar zur identifikation ein. Sie sind und bleiben einem egal. Am ehesten fiebert man mit der ärztin 313 (Ruth Wilson). Ihre beklemmende geschichte bleibt jedoch nur ein nebenaspekt am ende des ganzen. KAMPF UM DIE DEUTUNGSHOHEIT6 ist definitiv nicht Everyman. Die McGoohan-figur Nummer Sechs als nicht näher bestimmter hochrangiger regierungsagent mit sehr viel wissen im kopf, "unbezahlbar für einen gegner", agierte mit sichtlicher überlegenheit und erkennbarer ironie im existenzialistischen kampf gegen diverse Nummer Zweien um die deutungshoheit, und nicht nur die im Village. Er hätte seinen häschern vermutlich alles sagen können, was sie von ihm verlangten - aber er wollte es partout nicht. Die gründe sind weitaus mehr als nur renitenz oder ein unangenehmer job. 313 UND 6: IT'S A GOOD LIFE, WELL, IS ISN'T? Was 6 uns mitzuteilen hat, ist buchstäblich nicht mehr als: "I wanna get back to New York". Michael, wie 6 im bürgerlichen leben heißt, arbeitet bei einer ominösen datenbeschaffungs- und überwachungsfirma. Wir verstehen: aktualitätsbezug! Dort muss er auf etwas gestoßen sein, das ihn zum aussteiger werden ließ. Essenziell für die handlung ist sein job bei Summakor (für die man eigens eine perfekt aussehende website konstruiert hat) so wenig wie vieles andere hier. DIE SUMMAKOR-WEBSITE EXISTIERT INZWISCHEN NICHT MEHR Jim Caviezel ist tatsächlich nur ein angestellter, weder renitent
noch zornig (das will uns höchstens der pressewaschzettel sagen)
und schon gar nicht humorvoll. Er, der das fenster mit "Resign"
vollsprüht, ist keine sekunde mit dem eher mythischen als mystischen
Nummer Sechs vergleichbar, der einen prinzipiellen schritt geht,
indem er sein rücktrittsschreiben auf den tisch haut. Seine
präsentation des berühmten Nummer-Sechs-credos: "Ich
bin keine nummer, ich bin ein freier mensch!" bleibt nur
deklamatorisch. Ian McKellen als 2 ist Caviezel nicht nur schauspielerisch weit überlegen. In seiner überaus sanften replik auf 6s forderung, er wolle nach New York zurück: "That's not possible. There is no New York." hört man ein einziges mal das echo einer originalepisode: "This is your world. I am your world", sagt Mary Morris' Nummer Zwei in der prisonereskesten episode von allen, "Dance Of the Dead". Allein wegen dieser akzentverlagerung hin zu dieser Nummer Zwei, der heimlichen hauptfigur, ist der titel THE PRISONER falsch gewählt. MORATORIUM DER LIEBEN ANVERWANDTENStanislaw
Lem hat in seinem theoretischen werk "Summa Technologiae"
(1964) und noch einmal in "Phantastik und Futurologie"
(1970, dt. 1977) den begriff "Phantomatik" geprägt
für einen erzählerischen modus oder auch eine (fiktive?)
technik, die die landläufige vorstellung von wirklichkeit ebenso
wie deren "unikalismus" (Lem) radikal aufhebt.
Ist man erst einmal durch ein sei es psychologisch oder technologisch
induziertes ereignis in die welt der phantomatik eingetreten, gibt
es keine möglichkeit mehr, eine - d.h. meist "unsere"
- realität als die echte oder wahre zu postulieren. IST DER NUN REAL ODER IMAGINÄR? EGAL, HAUPTSACHE ER SCHMECKT... VIDEODROME (1983), Trumballs BRAINSTORM (1983) und nicht zu vergessen ein gewisser blockbuster namens THE MATRIX (1999) verdanken ihre existenz dieser technik. Unter diesem aspekt betrachtet, nimmt der AMC-sechsteiler mit dem irreführenden titel nun doch neue fahrt auf. Treffen wir uns also LETZTES JAHR IN MARIENBAD? - Nein, denn dekonstruktion des erzählerischen kontinuums, des individuums oder subjekts ist Gallaghers sache nicht, auch wenn ihm hier die bestmögliche desorientierung gelingt. In einer amerikanischen besprechung wurde vorgeschlagen, sich die miniserie von der letzten episode her anzusehen, dann käme man mit der sprunghaftigkeit der erzählweise viel besser klar. Der gedanke ist nicht verkehrt, erstmaligen zuschauern dürfte der vorschlag trotzdem kaum helfen. (2009): EPISODEN & ÜBERSICHT Viel wahrscheinlicher, wir alle, 6, 2, M2, 313 treffen uns mit Glen Runciters frau Ella im "Moratorium der lieben Anverwandten", einem handlungsbestandteil aus Philip K. Dicks vielleicht größtem roman "Ubik" von 1969; Glen Runciter vielleicht mit einer farbspraydose in der hand. Und eventuell entdeckt er auf seinem münzgeld das konterfei von 6/Michael. Wenn das jedoch zutrifft, dann hat das alles mit THE PRISONER eventuell nicht mehr allzu viel zu tun und war bloß erst der anfang... |
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"Wir sehen uns!" oder L'année dernière au Village · The Prisoner · Nummer 6 | |||||||||
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