F wie Fälschung Die Scherenschnitte

Dass es sich hierbei um eine Bildmanipulation handelt, ist so offensichtlich, dass man den Eindruck gewinnen muss, sie wurde billigend in Kauf genommen. Etwa, weil man unter den ersten sein wollte, die Ansichtskarten vom Universitätsviertel in der Ludwigstraße aus der Entstehungszeit im Jahr 1880 in Umlauf bringen. Dabei ist das Hauptgebäude nicht einmal ganz, sondern nur im Anschnitt zu sehen.

Im Wesentlichen zeigt das Foto die Ludwigstraße in Richtung Goethestraße. Der größte Teil des Bildvordergrunds ist leer und liegt dummerweise im Schatten. Vielleicht deshalb, dass man der Meinung war, menschliche Figuren würden den Anblick beleben. Doch anscheinend war geeignetes Bildmaterial nicht verfügbar, und so behalf man sich mit Zeichnungen von Frauen in (mutmaßlich) oberhessischer Tracht. Diese Scherenschnitte wirken zweidimensional und passen natürlich auch nicht zu den Lichtverhältnissen der Umgebung. Aber auch die meisten anderen menschlichen Figuren wirken statuarisch und wie auf Kommando dorthin gestellt oder aber hineinmontiert: der Mann links am Bordstein, der Junge rechts davon, ein Mann am Gartenzaun angelehnt und die elegante Dame in weiß mit einem weißen Sonnenschirm beim Spaziergang. Allen gemeinsam ist, dass sie keinen Schatten werfen, der Karren auf der Straße und das Gebüsch hinter dem Jungen dagegen schon, und auch die Frau in Tracht rechts am Straßenrand wirft einen Schatten.

Plattenkameras in großen Holzgehäusen mit Tripodstativ waren sperrig, gute Aufnahmen kosteten (Belichtungs-) Zeit und wollten gut vorbereitet sein. Erst 1914 gab es mit der Leica den Prototyp einer Kompaktkamera und die als Verkaufsmodell erst ab 1925. Und wahrscheinlich war es zu der Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts, üblich, fotografische Aufnahmen nachzubearbeiten. In der Tat wirken viele Straßenansichten wie nachgezeichnet, und das sind sie wohl auch, nämlich auf der Basis einer Fotografie.

Juni 2023

 

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