Die Gießener Schulstraße und der Blick zum Stadtkirchenturm war ein beliebtes Motiv auf alten Ansichtskarten. Den meisten Fotomotiven sieht man an, dass sie für Postkartenzwecke entstanden sind. Alltagsszenen wie sie Francis Himes 1890 fotografisch festgehalten hat, oder stadtgeschichtliche Entwicklungen spielten bei den Aufnahmen kaum eine Rolle. Dennoch erkennt man sehr schön die Stadtentwicklung über die Jahrzehnte, so etwa das Fehlen der Engel-Apotheke und später die Einführung der Straßenbahn.
Diese beiden Aufnahmen scheinen auf den ersten Blick identisch zu sein, und das sind sie auch. Fast. Der Bildausschnitt links ist leicht unterschiedlich. Und doch, da ist noch etwas oder eher, etwas ist nicht mehr da. Wenn der Retuscheur von 1936 (das Datum im Bild eingeblendet) kein Hellseher war und Straßenbahnen mit Brennstoffzellen vorausgesehen hat, dann war ihm die Oberleitung ein Dorn im Auge, also wurde sie ausgeixt. Und damit nicht genug. Einmal in der Dunkelkammer hat er den Himmel gleich mit ausgetauscht und ein paar schönere (vielleicht politische Schönwetter-) Wolken über die Stadt gezaubert. Dabei hat es einen Kollateralschaden gegeben: Ein Vogel über dem Stadtkirchenturm musste weichen. Zudem ist das bearbeitete Foto insgesamt deutlich dunkler als das Original geraten, ein paar Details sind beinahe im Schwarz abgesoffen.
Als Fazit: Ein Fall von klassischer Bildretusche, unschöne Details wie Pickel oder eben hier Fahrdrähte müssen verschwinden.
Juni 2023 |
