Gießener Gesichter Paare Lost place: Georgenschanze

 

Lost places – verlassene, von der Welt vergessene Orte. Im Gießen der Neuzeit gibt es kaum mehr welche. Zu viel ist bei der übereifrigen autogerechten Umgestaltung der Innenstadt seit den frühen 60er Jahren "aufgeräumt" worden und somit buchstäblich verloren gegangen.
Der lost place par excellence ist das ehemalige Bahnbetriebswerk an der Frankfurter Straße. Weil es der Deutschen Bahn gehört und relativ unzugänglich im Gleisvorfeld des Bahnhofs liegt, hat sich dort seit Jahrzehnten pittoresker Verfall breit gemacht. Am östlichen Stadtrand existieren noch große ober- und unterirdische Bunkeranlagen aus der NS-Zeit. Sie stehen teilweise unter Wasser und sind nicht zugänglich oder werden als Veranstaltungsort für Musik genutzt.
Ein weiterer Ort, der die Zeiten überdauert hat, aber eher kein lost place, befindet sich entlang der Ostanlage und der Senckenbergstraße: ein kurzes Stück des ehemaligen Walls der Stadtbefestigung direkt im Botanischen Garten.

Gießen war als Festung über Jahrhunderte von vielfach erweiterten und veränderten Wallanlagen umgeben. Nach deren Schleifung ab 1806 erfolgte die Stadterweiterung zuerst in Richtung Süden an der heutigen Liebigstraße (Kaserne bzw. Alte Klinik) und nach Südosten, das Universitätsviertel um die Ludwigstraße. Aus den Wällen wurden Grünanlagen. Es scheint seltsam, dass ausgerechnet in der Gießener Innenstadt ein solcher lost place zu finden sein sollte, zwischen der Westanlage und der nach ihr benannten Schanzenstraße: die Georgenschanze. Sie befindet sich im rückwärtigen Bereich eines Restaurants und unmittelbar neben einem Hotelneubau an der Schanzenstraße. In den 80er Jahren gab es direkt angrenzend einen von der Bahnhofstraße erreichbaren Biergarten. Die Reste der Befestigung sind etwa acht bis zehn Meter hoch und größtenteils überwachsen. Natürlich ist das Umfeld heute nicht dasselbe wie früher. PKW-Stellplätze und Verbundsteinpflaster prägen eher unschön das Bild, alles wenig vorzeigbar. Hinweise für die Öffentlichkeit auf ihre Existenz gibt es (bisher) sowieso keine.

2023, drei Jahre nachdem die 3D-Meshaufnahme entstand, bietet die Georgenschanze ein noch kümmerlicheres Bild. Die Gesamtanlage, der auf der 20er-Jahre-Aufnahme gut zu erkennende "Schanzentisch" ist fast bis zur Unkenntlichkeit verschwunden und bebaut worden. Ein paar Mauerreste sind übrig, und die werden von den Wurzeln der Bäume auseinander gesprengt. Eine Frage der Zeit, bis alles zusammenrutscht und konservierende Maßnahmen überflüssig werden.

Das digitale Abbild der Stadt Gießen im Mesh-Format basiert auf Daten der Luftbildbefliegung im März 2020. Vermessungsamt Gießen

Juni/September 2023

Brandplatz

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