Gießener Gesichter Paare Kloster Schiffenberg

 

Der Schiffenberg ist der Gießener Hausberg, 281 Meter hoch. Über die Wortherkunft herrscht unter Fachleuten keine Einigkeit, außer dass sie mit Schiffen nichts zu tun hat. Besucher freuen sich besonders im Sommer über die laue Atmosphäre im dortigen Innenhof bei einem Hefeweizen oder Apfelwein. Seit Jahrzehnten lädt die Stadt Gießen alljährlich zum "Musikalischen Sommer auf dem Schiffenberg" ein, und seit einigen Jahren finden in dieser besonderen Kulisse auch verstärkt Rock- und Popmusikkonzerte statt. Das Kloster Schiffenberg war jahrhundertelang ein landwirtschaftlicher Betrieb, später ein beliebtes Ausflugsziel mit einer Gastwirtschaft.

Die frühere Klosteranlage ist alt, sehr alt. Ausgrabungen datieren Spuren von Besiedlungen bis in prähistorische Zeiten um 4000 v.Chr. zurück. Eine mit einer Mauer befestigte Siedlung existierte mindestens seit dem 7. Jahrhundert. Als Kloster gibt es die Anlage wenigstens seit dem frühen 12. Jahrhundert. Irgendwann in der Geschichte wurde das südliche Seitenschiff der Basilika abgerissen, die Arkaden blieben offen, sodass der Innenraum und das Holzgebälk Wind und Wetter ausgesetzt waren. Bei Restaurierungsarbeiten stellte sich heraus, dass der Dachstuhl des Basilikaturms einer der ältesten seiner Art in Deutschland ist, sein Holz stammt aus dem Jahr 1142. Zum Schutz ließ die Stadt Gießen die Arkaden 2018/19 mit Glasfenstern verschließen.

Man stellt schnell fest, dass das heutige und das frühere Aussehen des Klosterinnenhofs überhaupt nicht mehr übereinstimmen. Die mutmaßlich von 1938 stammende Fliegeraufnahme zeigt klar das Ausmaß der verloren gegangenen Bebauung. Noch in den 50er Jahren standen entlang der Außenmauer historische Gebäude, wie das Foto oben rechts zeigt, das neben dem Brunnen auf der heutigen Restaurant-Terrasse gemacht wurde. Und offensichtlich wurden Besucher sogar busweise zu Veranstaltungen in den Innenhof gefahren. Auch die heutige Freifläche neben dem Südost-Eingang (vom PKW-Parkplatz kommend) war bebaut. Der Innenhof von heute macht in Teilen einen verwaisten, leeren Eindruck, was durch die 3D-Meshaufnahme noch betont, durch die großen Bäume aber gut kaschiert wird. Zeitfremde Materialien wie Waschkiespflaster und unpassende Betonelemente sowie ein auf alt gemachter Kiosk in der Mitte bestimmen das Aussehen. Dass es dort oben häufig mit der Bewirtung hakt, steht auf einem anderen Blatt.

Nach dem Auslaufen des Pachtvertrags 1972 ging das Kloster Schiffenberg an die Stadt Gießen über. Was folgte, war die Kerndisziplin der Stadt: der Abbruch. Auch wenn nicht alle Nebengebäude auf dem Areal wie die Basilika tausend Jahre alt waren, mancher Zweckbau vielleicht weniger als hundert: Grundgedanke dieser Kahlschlagsanierung war nicht die Erhaltung der Bausubstanz und somit die des Ensembles selbst, sondern die Pflegeleichtigkeit der Anlage. Der daraus sprechende Geist, der nur das an Historie beibehält, was ihm in den Kram passt, ist derselbe wie der, der für das Abräumen in der Gießener Innenstadt und hier insbesonders im Teufelslustgärtchen verantwortlich war.

Reizvoll an der Klosterdomäne sei die bis dahin existierende Verflechtung von Landwirtschafts- und Restaurationsbetrieb. Sie sei einer der wenigen Flecke, "der noch nicht der Renovierungs-Wut zum Opfer gefallen ist", so der Beitrag eines Gießeners in der Gießener Allgemeinen Zeitung von damals (in einem Artikel vom 25.08.2022). Ein Rufer in der Wüste.

Das digitale Abbild der Stadt Gießen im Mesh-Format basiert auf Daten der Luftbildbefliegung im März 2020. Vermessungsamt Gießen

Juli 2023/Jan. 2024

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