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DANCE OF THE DEAD |
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VORIGE EPISODE: NÄCHSTE EPISODE: |
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"I AM NOT
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DREHBUCH:
Anthony Skene, George Markstein
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PLATZ 4 Der surrealismus überwiegt die plot-schwächen. Zeitlos. Mehrfaches ansehen empfohlen.
Wenn es so etwas gibt wie den NUMMER 6-touch, das gewisse etwas, das auf alle übrigen episoden ausstrahlt, dann liegt diese prisoneresk genannte eigenschaft in der episode "Die Anklage" begründet.
Auf der handlungsebene allein wird man mit dieser folge kaum glücklich. Wie so oft, der inhalt gibt längst nicht den gehalt der episode wieder, gerade wenn es um traumtheorie, die psychologie des unbewussten sowie um literarischen und vor allem filmischen surrealismus geht, der hier deutlich seine spuren hinterlassen hat. Namentlich der einfluss von Lewis Carrolls ALICE IM WUNDERLAND, Jean Cocteaus ORPHEE (beide auch als filme) und Kafkas romanerzählung "Der Prozess". Gleichwohl war es anscheinend weniger Kafkas roman, sondern eher Orson Welles' film DER PROZESS, mit Anthony Perkins in der hauptrolle, der drehbuchautor Anthony Skene inspiriert hat. So sind einige szenen der "Anklage" bis in die einstellung hinein identisch aufgelöst wie im film von Welles.
Vordergründig
sind da zwei stories in einer. Und so manche/r wird nur mit mühe
deren windungen folgen können.
Da ist zum einen der versuch von Nummer
TWILIGHT
ZONE AUF DEM STRAND...
PETER PAN ALIAS NUMMER ZWEI Nummer Zwei Wartet der herr im smoking auf jemand? ENGLISCHER ORIGINALDIALOG Die szene im dämmerlicht auf dem strand ist sicher eine der bekanntesten der serie, einzigartig und bezwingend. Sie steht relativ isoliert in der handlung. Ihr voran geht die begegnung von Nummer Sechs mit seinem ex-kollegen Roland Walter Dutton. Nach diesem kryptischen dialog die aufforderung durch Nummer Zwei, ihr zum karneval im Rathaus zu folgen. Wer oder was spricht aus dem dialog, McGoohan, Nummer Sechs, das unbewusste? Handelt es sich um einen traum, eine drogeninduzierte halluzination? Der name Peter Pan fällt nicht in der deutschen fassung, somit bleibt die geschichte von dem jungen, der niemals erwachsen wurde und der seinen schatten verloren hatte, unbenannt [1]. Dass Peter Pan von Nummer Zwei, einer frau, dargestellt wird, ist passend. In theateraufführungen wurde Peter Pan oft von jungen frauen und meistens in Robin-Hood-ähnlichen kostümen gespielt. Nummer-Zwei-darstellerin Mary Morris hatte den charakter schon früher auf der bühne verkörpert und war erfreut, als die produktion von NUMMER 6 ihr für die karnevalsszenen statt "Old Father Time" Peter Pan vorschlug. Auch Nummer Sechs hat etwas verloren: seine identität als mensch, seine freiheit als person. Nummer Zwei ist auch sein spiegel. Sie bringt den fehlenden "schatten" mit, auf den Nummer Sechs anspielt. Nummer Zwei in "Pas de deux" warnt Nummer Sechs, er dürfe nicht zum "einsamen wolf" außerhalb der gesellschaft werden. Nummer Sechs hatte den dienst quittiert, weil er gewisse spielregeln nicht mitspielen wollte; metaphorisch betrachtet: nicht erwachsen werden. Interessant, der mehr oder weniger nahe verwandte von Nummer Sechs - James Bond - bekennt in "Der Morgen stirbt nie": "Weil ich nie erwachsen geworden bin." |
Sechs, mit hilfe der angespülten leiche der außenwelt die paradoxe botschaft "Ich bin es, ich lebe noch" mitzuteilen sowie die eigene integrität zu bewahren (ein radio mit einem mysteriösen programm erzeugt irritation, könnte aber eine verbindung nach draußen bedeuten). Zum anderen die anstrengungen von Nummer Zwei, genau diese unterscheidung zwischen dem Ort und der restwelt, zwischen innen- und außenwelt hinfällig zu machen und Nummer Sechs ihre welt als die einzig gültige zu vermitteln (dialogszene am strand, karneval, maskenball und tribunal).
MEHR: DIE ANTHONY SKENE-TRILOGIE VON MICHAEL BRÜNE
DAVE BARRIE: DUNKLE TRÄUME UND LANGE SCHATTEN
MEHR: INTERVIEW MIT DAVE BARRIE
KOMISCHES
DREIGESTIRN: ELISABETH I, JULIUS CAESAR UND NAPOLEON |
"Mit
dieser episode", schreibt Dave Barrie, "treten wir ein in das reich der fantasy. Tatsächlich
könnte man annehmen, Nummer Sechs habe sich in Alice's Wunderland
begeben. Dies ist eine der allerersten vier episoden, und autor Anthony Skene glaubte,
sie sei als zweite vorgesehen. Von einer ganzen reihe verschiedener faktoren
hat Skene sich bei dieser episode, die ebenso viele verächter wie
bewunderer hat, beeinflussen lassen. Und es ist ganz leicht zu verstehen,
wie es dazu kommt. "Die Anklage" ist wie ein traumgebilde, der
plot kaum zu erkennen und greifbar, surreal, verwirrend, schlicht seltsam.
Oberflächlich gesehen haben wir es hauptsächlich mit einer ideenmontage
zu tun, undiszipliniert, gelegentlich ohne sinn, und von einem improvisierten
ende gekrönt. Die geschichte verkompliziert sich noch weiter, indem
sie merklich vom drehbuch abweicht und Nummer Sechs seine nachricht an
die außenwelt schreibt, bevor er den leichnam wieder ins wasser
schafft. Es wird mit schattierungen gespielt, mehr angedeutet als gezeigt.
Eher wird man von der episode verfolgt, als dass sie voranschreitet.
Der schwerpunkt liegt auf Nummer Sechs, der dem zimmermädchen seinen
anzug zeigt ("Es bedeutet, dass ich immer noch ich selbst bin."),
und in der szene auf dem strand bei sonnenuntergang, als Nummer Zwei die
letzten reste der wirklichkeit beiseite wischt, dann beginnt für
Nummer Sechs der abstieg in den karneval, und vielleicht ist es ein abstieg
in die unteren bereiche seines unbewussten.
Ich sagte "Dance Of The Dead"... Er sagte. 'Oh, erwähne bloß das nicht, ich habe deswegen schon kopfschmerzen.' FILMCUTTER JOHN S. SMITH Ich sagte, 'was dagegen, wenn ich es mir ansehe? Sieht wirklich gut aus.' 'Wirklich? Sieh zu, was du machen kannst!' |
Skene ließ anklingen, Jean Cocteau und der film von 1944 THE DEVIL AND DANIEL WEBSTER (DER TEUFEL UND DANIEL WEBSTER aka ALLES WAS GELD KAUFEN KANN; regie: William Dieterle) seien einflüsse für ihn gewesen. Wie Cocteau ist auch Skene vom mythos des labyrinths fasziniert.
Wiederholtes anschauen wird bei dieser episode belohnt, die womöglich tiefgründiger ist und sich viel mehr mit magie wie auch dem unterbau des verstandes beschäftigt als viele andere. Die welt des unbewussten wird heraufbeschworen, und Nummer Sechs' innere reise hallt in uns nach." [2]
Das
bemerkenswerteste an dieser episode ist jedoch, dass es sie beinahe gar
nicht gegeben hätte. "Die Anklage" ist ihrer entstehungsgeschichte
nach eher das, was man ein "ungeliebtes kind" nennt. Vermutlich
sollte sie ursprünglich die zweite episode sein, die außenaufnahmen
entstanden im herbst 1966 zusammen "Die Ankunft",
"Freie Wahl" und "Schachmatt". Mancher dialog deutet
zudem darauf hin. Es wird berichtet, McGoohan habe sie aufgeschoben, weil sie ihm bzw. etwas
daran nicht gefallen habe, was genau ist unbekannt.
John S. Smith, filmcutter bei NUMMER 6, erzählte auf der PRISONER-convention
2006, das bereits
gedrehte material sei verschwunden gewesen, bis er es wiedergefunden und
mit einverständnis McGoohans aufbereitet habe. Dave Barrie nennt
ihn deshalb den eigentlichen retter dieser episode. Und der surrealismus
von NUMMER 6 erweist sich als nicht völlig durchgeplantes konstrukt,
sondern als ergebnis einer reihe von zufällen, was sich dem rationalen
zugriff zumeist entzieht - also durchaus im geiste der surrealisten.
Katzenjammer? Außer ihrem offenkundigen gehalt an gewolltem oder ungewolltem surrealismus ist an der "Anklage" bemerkenswert eine "injektion", die es nur in der deutschen fernsehfassung gibt. Nummer Sechs, auf der aussichtsplattform, dreht an der sendereinstellung des soeben gefundenen radios. Während auf der originaltonspur nur eine unverständliche stimme im ätherrauschen zu hören ist, erfährt das deutsche publikum anscheinend mehr hintergründiges: "Jetzt ist der katzenjammer groß, denn so eine streikwelle ist ansteckend, wie eine pockenepidemie. Der wilde aufstand grassiert und nur kräftig dosierte..."
Ganz klar, dies ist mehr als nur eine übersetzerische bearbeitung, eine ganze passage wird hinzugedichtet. Die streikmeldung, so wird insinuiert, könnte mit dem ort von Nummer Sechs' gefangenschaft zu tun haben. Wird hier versucht, die handlung spannender zu gestalten, indem man eine vermeintliche "leerstelle" ausbügelt? Wessen idee war es, Joachim Brinkmanns? Niemand kann es sagen.
Das
ende der episode ist einfach "unklar" und befremdlich. Nummer
Sechs ist vor der kostümierten karnevalsmeute durch ein labyrinth
von kellergängen in einen raum mit halbdurchsichtigen spiegeln geflüchtet.
Er wird von Nummer Zwei aufgespürt. Sie will keinen gehirnamputierten
idioten haben, sondern ihn mit ganzem bewusstsein für sich gewinnen.
Mary Morris als Nummer Zwei ist neben Leo McKern die stärkste besetzung
der ganzen serie. Und das wird keineswegs geschmälert durch den umstand,
dass Trevor Howard für die rolle vorgesehen war.
Für einen kurzen moment keimt die hoffnung, hinter einem paravent
könnte
ABBILD
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sich die ominöse Nummer Eins befinden. Doch es ist lediglich ein vor sich hintickernder fernschreiber, dem Nummer Sechs die kabel wie eingeweide aus dem leib reißt. Als Nummer Zwei hinzukommt, nimmt das malträtierte gerät seine tätigkeit wieder auf, als wäre nichts passiert.
Die letzten worte der bekannten synchronfassung:
Nummer
Sechs: "Sie werden nie gewinnen."
Nummer Zwei: "Wie ungemütlich würde das für
sie sein, mein alter freund."
Angesichts von Nummer Sechs' perplexem gesichtsausdrucks bricht Nummer Zwei in schallendes gelächter aus. Ende.
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Roland Walter Dutton - ein ehemaliger dienstkollege von Nummer Sechs. Warum ist er mit namen bekannt? Nummer Sechs liest ihn auf einem exekutionsbefehl. Der identifikatorische wert eines gedruckten namens, zumal bei einem todesurteil, ist für die zuschauer weit größer als eine zahl. Ob Dutton wirklich als lallender idiot übrig bleibt oder vielleicht alles nur theater für Nummer Sechs war, ist nicht endgültig zu sagen. |
Im drehbuch sah das episodenende noch anders aus; die nicht realisierte Szene:
Nummer Sechs: "Aber es zahlt sich aus, meine liebe. (Pause) Tot zu sein, hat seine vorteile."
Während er das sagt, nimmt er einen schweren aschenbecher und zertrümmert den fernschreiber.
Nummer Sechs: "Wollen wir tanzen?"
Das mädchen (seine ehemalige bewacherin) und Nummer Sechs gehen und lassen Nummer Zwei inmitten von papierbahnen und bruchstücken zurück.
108.
Innen. Ballsaal. Nacht.
Ein hektischer formationstanz ist in vollem gange. Elisabeth I, Julius
Caesar und Napoleon tanzen, einander an den händen gefasst, zur schnellen
musik im kreis. Sie nehmen Nummer Sechs und das mädchen dazu. Sie
alle tanzen, als würde der teufel spielen.
109.
Außen. Ort. Nacht. am Ort.
Die musik spielt schneller und schneller. Der Ort ist hell erleuchtet.
Niemand ist zu sehen. Die kameraeinstellung zieht so weit auf, bis das
meer zwischen uns und dem Ort zu sehen und er nur noch ein glühen
in der dunkelheit der nacht ist.
Schlusstitel.
Eine ähnliche szene gibt es in dem film THE DEVIL AND DANIEL WEBSTER, den Skene bereits als quelle der inspiration für dieses drehbuch benutzt hatte. Diese schlussszene bringt den episodentitel eher auf den punkt, sie wurde nie realisiert. Vielleicht hat McGoohan - ganz sicher hätte er - sich geweigert, bei diesem gesellschaftstanz mitzutun, wo er schon kurz voher, beim maskenball, zu seiner weiblichen begleitung betont auf abstand geht und demzufolge sehr linkisch wirkt.
Innenwelt - außenwelt: der Ort als autarke einheit - buchstäblich ein universum für sich. Dieser gedanke wird auch von Nummer Zwei in "Die Glocken von Big Ben" vertreten. Tatsächlich hatten die produzenten ihn schon ins bild gesetzt, nur wurde er in der finalen version nicht mehr verwendet. Es wäre das schlussbild jeder episode gewesen. Aber es ist noch zu besichtigen - das animierte Pennyfarthing.
"NOWHERE IS THERE MORE BEAUTY THAN HERE..."Dave Barries liebster platz während seiner führungen durch den ort ist der Belvedere Outlook. Die aussichtsplattform ist der ort des geschehens in der episode "Die Anklage", als Nummer Sechs dem radio lauscht, das er illegalerweise besitzt. Die worte aus dem radio: "Nowhere is there more beauty than here..." scheinen wie eigens geschaffen für das reale Portmeirion. |
Die tatsache, dass der kostümkarneval im Rathaus stattfindet und nicht etwa in der freizeithalle und es so erst möglich wird, dass Nummer Sechs sich in ansonsten nicht zugänglichen bereichen umsehen kann, flure, nebenzimmer, vor allem in einem kellerraum die zuvor am strand aufgefundene leiche wiederzufinden, führt David Stimpson [4] zu dem schluss, dass auch hier alles nach einem plan verlaufen ist, der in der surrealen gerichtsverhandlung gipfelt.
Doch was war hier eigentlich die aufgabe von Nummer Zwei? Was hat sie am ende erreicht, außer Nummer Sechs eine lektion erteilt, ihn vielleicht entmutigt zu haben, weil er nun für die außenwelt tot ist? Was auf der strecke bleibt, ist die serienkonforme handlungslogik, mehr als irgendwo sonst in NUMMER 6.
[1] Peter Pan ist die hauptfigur einiger geschichten von James Matthew Barrie, erstmals 1902 erschienen. 1904 wurde in London ein bühnenstück erfolgreich aufgeführt.
[2] Dave Barrie ist der gründer der PRISONER Appreciation Society SIX OF ONE. Die geschnittenen
szenen sind im buch von Robert Fairclough "The Original Scripts Vol
1" abgedruckt.
[3] John S. Smith im gespräch mit nr6de am 13.04.2016 in London; aus dem englischen von Arno Baumgärtel.
[4] David Stimpson, blogeintrag vom 03.01.2015