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ARRIVAL |
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"I AM NOT
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DREHBUCH:
David Tomblin, George Markstein
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PLATZ 2 Geniale titelsequenz, viele location-szenen und die zauberkraft der tautologie, als man erfährt, dass der ort Der Ort, der strand Der Strand, das meer Das Meer... ist. Mehr davon!
Im spätsommer 1966 reiste die fernsehcrew mit viel ausrüstung für die außenaufnahmen nach Wales. Bewohner aus Porthmadog und umgebung wurden als statisten angeheuert und mit bunter kleidung, capes und pullovern ausgestattet. Man hatte viel glück mit dem wetter während der dreharbeiten. NUMMER 6 sähe völlig anders aus, wenn es wie die tage und wochen zuvor so regnerisch geblieben wäre. Informationen für die presse waren spärlich, kaum mehr, als dass Patrick McGoohan an einer neuen serie arbeitete. Portmeirion, der drehschauplatz, Sir Clough Williams-Ellis' architektonische kreation, blieb alles in allem ein gut gehütetes geheimnis; tatsächlich bis zur letzten episode "Demaskierung", als der name des ortes in der danksagung des abspanns publik gemacht [1] wurde.
"WO BIN ICH?"
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Regieveteran Don Chaffey war für die aufnahmen der vier episoden vor ort: "Die Ankunft", "Freie Wahl", "Schachmatt" und "Die Anklage" verantwortlich. Bei den dreharbeiten später im studio übernahm Patrick McGoohan oft selbst die regie. Brendan J. Stafford war der chefkameramann. Es wurde auch filmmaterial gedreht, das immer wieder über die serie verstreut verwendet wurde. Die episoden "Die Ankunft" und "Freie Wahl" entstanden back-to-back. "Die Ankunft" war ursprünglich als klassische pilotepisode von 90 minuten vorgesehen. McGoohan sagte später, etwa 20 minuten habe man herausgeschnitten, um die handlung zügiger zu gestalten.
Die aufnahmen für das schachspiel gehörten zu den ersten, die überhaupt entstanden, erkennbar an abdrücken des schachbretts auf dem rasen. Außerdem experimentierte man mit einem fahrzeug auf dem chassis eines go-karts, aus dem einmal Rover, der gefürchtete automatisierte wachhund des Ortes, werden sollte. Wie bekannt, kam es ganz anders. Das mechanische vehikel war ungeeignet und wurde durch wetterballons ersetzt.
"Die Ankunft" gehört zu den persönlich am häufigsten gesehenen episoden der serie. Hier wird die exposition für alles nachfolgende geschaffen: die hauptfigur eingeführt und was mit ihr passiert; der schauplatz der handlung wird vorgestellt, der im original lediglich (aber doch auch ganz wörtlich) "the Village" heißt, was auf deutsch mit "Dorf" nur unzureichend übersetzt wäre. Vor allem aber ist es die ausbreitung der gesamtstimmung der serie, die man als "verschroben", "bizarr", "surreal" oder dann als prisoneresk bezeichnen kann.
Auch nach zigmaligem ansehen liegt ein eigentümlicher zauber gerade über diesen ersten minuten.
MEHR: DIE "ALTERNATIVE ANKUNFT"
"DIE ANKUNFT": EPISODEN-TRANSKRIPT
REIHENFOLGE DER EPISODEN
INTERVIEW DAVE BARRIE, SIX OF ONE
REISE ZUR PRISONER-CONVENTION 1991
Noch ist der vorspann nicht zur titelsequenz geworden, sondern ein integraler bestandteil der handlung. Ein ganzes filmseminar könnte man mit der analyse nur dieser zweieinhalb minuten bestreiten. Wenige schnell geschnittene bildsequenzen, in fast allen nachfolgenden episoden wiederholt, erzählen, "was vorher geschah".
Noch endet die sequenz ohne den gesprochenen prolog, und der handlungsverlauf mit der ankunft des protagonisten am ort des geschehens beginnt, als er, aus der betäubung erwacht, einen blick aus dem fenster wirft und aufgewühlt in seiner neuen behausung, ein nachbau der Londoner wohnung, auf und ab geht. Er tritt vor die tür und hinein eine mediterran anmutende umgebung. Da ist ein kirchturm, auf dem er glaubt, eine person zu sehen, also hinauf. Aber da ist niemand. Ein phantom? In mancher hinsicht ist die kleine szene bezeichnend; die serie - fiktion - und der drehschauplatz Portmeirion - realität - konvergieren: Nichts oder wenig ist, nach was es zunächst aussieht. Ein seltenes beispiel dafür, wann und wie ein schauplatz zu einem hauptakteur wird.
Vom kirchturm aus blickt er in die runde. Würde man stacheldraht und bewaffnete wachen sehen, wüsste man, woran man ist. Aber außer dem Ort, dem meer und den windgeräuschen ist da nichts. Es könnte ein sonntagvormittag sein. Wer schon in Portmeirion übernachtet hat, erkennt die stimmung wieder. Ein anflug von panik steht ihm ins gesicht geschrieben, die handkamera hält den moment nahezu dokumentarisch fest. Später im gemischtwarenladen wird sein blick für eine sekunde auf der landkarte ähnlich hin- und herirren. Die glockenschläge der turmuhr schrecken ihn auf.
Halbwegs durch die episode trifft der Gefangene auf eine neue SIX OF ONE,
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Die inszenierung der ankunft aus der perspektive des protagonisten geht weiter. Wer hier nebenher die wäsche bügelt oder wie in unseren modernen zeiten "Whatsapps" verschickt und sich dieser passagen entzieht, verpasst viel vom spezifischen flair der serie. Da ist nichts an quasseliger erklärungswut, dem kennzeichen vieler, vielleicht der meisten sich als fernsehserien tarnenden hörspieldramen, die einen beim nur zerstreuten hinsehen unterstützt. Und nicht jede der episoden ist derart gut aufgebaut.
Vom turm aus hatte der mann ein café gesehen. Er geht hin, spricht die kellnerin an, doch das gespräch bleibt seltsam in der schwebe: "Wo bin ich, wie heißt das hier?" Sie: "Wie das hier heißt...?" Und: "vielleicht ist der kaffee schon fertig..." Leerstellen, auslassungen. Immerhin, da ist ein telefon um die ecke, noch darf man hoffen, dass sich alles aufklärt. Es ist keine britische telefonzelle. Nur ein apparat ohne münzeinwurf in einer von einer gestreiften markise geschützten plastikkabine. "Welches amt ist das?" Kein amt. "Nummer bitte!" Er: "Ich möchte ein gespräch nach..." Die stimme: "Nur ortsgespräche." Wie seine nummer sei. Was für eine nummer? Er hat keine nummer. "Keine nummer, kein gespräch!" So ist das, sich drehen im kreis.
Noch immer ist im Ort niemand unterwegs, jedenfalls nicht sichtbar. Was tun? An einem stand mit der aufschrift "Information - Push and find out" drückt er einen der nummerierten knöpfe - ein rattern wie das vom parkscheinautomat an dem tag, als er ins parkhaus fuhr... Sodann motorengeräusche und neben ihm hält ein geländewagen-ähnliches fahrzeug, ein taxi, mit einer gestreiften stoffmarkise als dach. Das ging blitzschnell. "Wohin wollen sie?" fragt die asiatische fahrerin im ebenfalls gestreiften sweatshirt. Er ist zu verdutzt, um zu antworten, zögert. Sie: "Où désirez-vous aller?"
Er steigt ein. Warum sie französisch mit ihm gesprochen habe, will er wissen. "Französisch ist international", antwortet sie. Der Ort sei sehr kosmopolitisch. Man wisse nie, wo jemand herkomme. Tatsächlich hätte sie ihn für einen Polen oder Tschechen gehalten, sagt sie. Was die hier wohl zu suchen hätten, fragt er mehr sich selbst als die fahrerin, fest im glauben, nach wie vor in heimischen gefilden zu sein. 1966 lebten Polen und Tschechen normalerweise unerreichbar hinter dem Eisernen Vorhang. Sie mache nur fahrten innerhalb des Ortes, sagt die fahrerin und er: "Fahren sie mich so weit sie können." Wären da nur nicht die seltsamen umstände, die ihn überhaupt hierher geführt haben, es wäre eine schöne kleine sightseeing-tour durch teile des pittoresken Ortes; klassische architektur, statuen, springbrunnen, kopfsteinpflasterwege. Aber buchstäblich im kreis herum.
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"Ich sagte ihnen ja, wir fahren nur im ort", so die taxifahrerin wie zur bekräftigung. Das taxi hält vor einem altmodischen gemischtwarenladen. Er geht hinein, ein glöckchen klingelt beim öffnen der tür. Der verkäufer in gestreifter kaufmannsschürze unterhält sich, den effekt des unvertrauten verstärkend, mit einer kundin in einer unverständlichen sprache [anm.: in der deutschen fassung jedoch auf deutsch]. Er wechselt ins englische, als sie das geschäft verlässt. Was er wünsche? Schon die frage ist lauernd. Einen plan der umgebung. Ähnlich der kellnerin übt sich der verkäufer in retardierung und wiederholung: "Schwarzweiß oder in farbe...?" Dann: "Einfach einen plan, aha..." Umständlich kramt er einen faltplan hervor. Doch schlau wird man daraus nicht. Verlegen bittet unser mann um eine größeren maßstab. "Aber nur in farbe und dann gleich viel teurer." Erneut auseinandergefaltet, doch da ist wieder nichts, was aufschluss über den aufenthaltsort geben könnte. Im gegenteil. Erst jetzt realisiert er die seltsamen landschaftsbezeichnungen:
the mountains
the sea
the beach
Your Village...
Als ob einem durch diese tautologie der boden unter den füßen weggezogen würde, der schock sitzt.
Kurz macht panik sich breit. Nicht nur eine karte von diesem ort möchte er... Die gibt es nicht, keine nachfrage. Der verkäufer mutmaßt: "Sie sind neu hier, nicht?" Als hätte er es gewusst.
"Die frühen typischen episoden sind kurz und bündig, und außer 'Freie Wahl' stecken in ihnen weniger der McGoohan'schen injektionen als in später entstandenen. 'Freie Wahl' erscheint im vergleich tatsächlich vom inhalt her 'merkwürdiger' als 'Die Glocken von Big Ben', 'Die Anklage' und 'Schachmatt'. Diese drei sind ohne regie- oder drehbuchcredits für den star. Das quartett der ersten vier entstandenen episoden hat aufgrund von [George] Marksteins, [David] Tomblins, Chaffeys und Staffords präsenz mehr von einem gemeinschaftswerk." SIX OF ONE mitgliedermagazin "Free For All" 1/2002 |
"Wir sehen uns!" sind seine abschiedsworte, von einer gewissen handbewegung begleitet, als der mann das geschäft verlässt. Draußen ertönt eine lautsprecherdurchsage, die die bevölkerung vor regenschauern am nachmittag warnt und ankündigt, dass "zu ihrer freude" eiscreme zum verkauf komme: "...heute mit erdbeergeschmack." Der besondere geschmack des Ortes wird auch die zuschauer weiterhin begleiten.
Als der entführte - der Gefangene - ein zimmermädchen auf dem balkon seiner unterkunft sieht, eilt er nach hause, doch schon wieder - weg ist sie. Dafür klingelt das telefon, und er erhält eine einladung zum frühstück. Die männliche stimme: "Nummer Zwei. Das grüne kuppelgebäude."
Rund neun minuten, gut ein fünftel der gesamtlaufzeit dieser episode, sind bis hier vergangen. Wie der held tappt man selbst im dunkeln. Doch jetzt ist die exposition beendet und die handlung im eigentlichen sinn beginnt mit dem besuch bei Nummer Zwei. Der wird dem neuankömmling eröffnen, dass man sich schon "gewisse freiheiten" herausgenommen habe und was man von ihm wissen will: die gründe für seinen rücktritt vom dienst nämlich.
Er wehrt sich argumentativ, er sei bereits überprüft worden. Eine erschreckende erkenntnis offenbart sich: Der mann, der für uns gleich
Nummer Sechs sein wird, wurde bereits seit langer zeit abgestempelt, eingestuft, bewertet, abgewertet und nummeriert. Seine akte reicht bis zum babyalter zurück. Jetzt wird er gezwungen. "Das gibt ihnen das recht, ihre nase in meine angelegenheiten zu stecken?" bricht es aus ihm heraus. Womöglich war gar nicht sein rücktritt vom dienst der grund für die entführung, sondern man hätte ihn ohnehin aus dem verkehr gezogen?
Von Nummer Zwei wird er, per hubschrauber und zu fuß, auf eine tour durch den Ort - "eine kleine welt für sich" - mitgenommen. Man unterhält sich, treibt verbale scherze. Das dokumentarische an den szenen auf dem kirchturm wird hier in bildern des alltagsgeschehens im Ort wieder aufgegriffen. Nummer Sechs erfährt, zu welchen maßnahmen man greifen wird, wenn die geforderten informationen nicht geliefert werden. Ob bestellt oder nicht, Rover, der amorphe wachhund des Ortes, zeigt zum ersten mal eindrucksvoll seine potenziell tödlichen fähigkeiten. Am ende steht ein halbherziger fluchtversuch, eine begegnung mit Rover auf dem strand und ein unfreiwilliger besuch im krankenhaus. Bei seiner entlassung erhält er die insignien des Village-daseins: neue bekleidung, in der man ihn von jetzt an immer sehen wird; einen personalausweis, eine kreditkarte, einen strohhut sowie einen anstecker mit der nummer "6" darauf. Keine frage, der anstecker fliegt mit verachtung in die ecke.
Was folgt, ist im grunde eine neue episode, eine neue Nummer Zwei, eine weitere handlung, ein erneuter, letztlich vergeblicher fluchtversuch und eine demonstration der möglichkeiten, über die der Ort verfügt. Auch eine reihe für die serie typischer irritierender bestandteile, surreale brechungen der ansonsten linearen handlung, werden einem als zuschauer hier begegnen.
Die fährten sind gelegt.
[1] Nicht jedoch in der deutschen version. Die sequenz fehlt in der ZDF-fassung von 1969.