interview mit dem urheber, produzenten, drehbuchautor,
regisseur und star der serie, Patrick McGoohan. Leider
musste Koch-Media diesen beitrag wieder streichen.
Warum lesen Sie
hier!
So
viel ist bekannt: McGoohan selbst hatte schon nach der herstellung
des features vertraglich fest schreiben lassen, dass es nicht wieder
veröffentlicht werden dürfe. Dieser passus kam
in letzter
minute ans licht. Damit war eine weltpremiere, noch dazu auf deutsch, ins wasser gefallen. Das interview
wurde nach der ursendung auf Channel Four im anschluss an die 1984er
wiederholung von THE PRISONER nur schriftlich in einer frühen
AUS DEM ENGLISCHEN VON ARNO BAUMGÄRTEL |
veröffentlichung der Prisoner Appreciation Society SIX OF ONE
publik gemacht, seitdem nie wieder. Kursierende videokopien davon
sind keineswegs autorisiert. Die
entstehungsgeschichte dieser doku ist mindestens so interessant
wie das, was McGoohan im interview über sich und die serie
zu sagen hat und wirft beinahe mehr fragen auf, als McGoohan lieb
sein kann. Nachfolgend ein dokument der ent-täuschung.
Von
Chris Rodley
Wie
alles andere bildete Six Into One: The Prisoner File
nur die spitze eines eisberges - das bisschen, was jeder zu sehen
bekam. Vor einem jahr huschten die 52 minuten über eine million
fernsehschirme und man wird sie wohl nie wieder sehen. Die 52 minuten
besser verstehen, heißt die entscheidenden faktoren, ereignisse
und motive innerhalb der drei massiven eisberg-monate, die unter
dem programm verborgen liegen, mit zu bedenken. Das soll keine entschuldigung
für seine unzulänglichkeiten sein, sondern beleuchten,
auf welche art und weise die institution fernsehen, die fernsehfilmpraxis,
wünsche von programmgestaltern und die programmthemen durch
kompromiss, aggression, wunsch, frustration, genuss und verzicht
immer miteinaner verschränkt sind.
"IN MY MIND" - SEIT ENDE 2017 ERHÄLTLICH: CHRIS RODLEYS NEUE
VERSION
DER 1984er DOKU "SIX INTO ONE: THE PRISONER FILE"
DAVE BARRIE ÜBER RODLEYS IN MY MIND
MEHR: DAS LA TAPE
IM GESPRÄCH: DAS TROYER-INTERVIEW
Das
hauptproblem in unserem fall war der faktor zeit. Channel 4 gab
sein okay zur produktion erst, nachdem THE PRISONER schon sechs
wochen lang lief - so blieben nur 10 wochen für die planung
aus dem stand heraus, die dreharbeiten, nachbearbeitung und die
ablieferung der kompletten dokumentation, die unmittelbar nach der
episode "Fall Out" gezeigt werden sollte. Nun schadet
druck niemandem, aber bei einer unabhängigen, nur aus drei
personen bestehenden - John Wyver, Laurens C. Postma und ich - produktion,
mit aufnahmen in Amerika und einem ganzen berg voller genehmigungen
und abkommen, die nötig waren (um die bedingungen von Channel
4 zu erfüllen), führte das unweigerlich zu vielen entscheidungen,
die sehr schnell getroffen werden mussten.
Was
noch schwerer wiegt, angesichts der menge an aufnahmen, die wir
gemacht haben, blieb uns nur eine woche für den rohschnitt
auf 52 minuten! Das ist etwas, das ich nicht weiterempfehlen kann.
Es ist sehr schmerzhaft, eine komplexe produktionsgeschichte, gutes
interviewmaterial und wunderbare aufnahmen von 17 episoden der serie
in so kurzer zeit in so eine zwangsjacke zu stecken. Unsere erste
"essenzielle fassung" war 97 minuten lang...
Das
zweite große problem war McGoohan. Mein ursprüngliches
treatment ging von einem "kontroller" aus, der spurensuche
betreibt, material sichtet, leute interviewt und versucht herauszufinden,
was und wie alles zustande gekommen ist und, zweitens, "was
es alles bedeutete". Eine traditionelle dokumentation mit ausschnitten
und sprechenden köpfen wollten wir nie machen, weil a) die
ambitionen des PRISONER selbst mehr als nur so etwas verdienen,
und b) ich die serie gar nicht "erklären" wollte
(sowieso unmöglich), und c) eine stück interessantes fernsehen
daraus werden sollte, für neues und altes PRISONER-publikum.
Auf dieser grundlage hatte Channel 4 den auftrag vergeben, weil
ihnen das format gefiel.
Nach
unserem ersten treffen mit McGoohan in Los Angeles wurde aber klar,
das er mit dieser idee nicht warm wurde, und auch überhaupt
nicht einverstanden war mit der einbeziehung bestimmter teilnehmer
- George Markstein etwa. Laurens und ich waren wiederrum nicht in
der position verhandeln zu können. Wir wollten das konzept
nicht radikal umwerfen, konnten aber auch nicht so zustimmen. Wir
konnten die ganze sache aufgeben, aber nicht die endgültige
kontrolle der redaktionellen bearbeitung. Am nächsten tag in
einem restaurant in Santa Monica verkündete McGoohan dann,
dass er mit unserem konzept einverstanden sei. Auch mit der einbeziehung
George Marksteins. Wir waren überglücklich. Die weiteren
acht tage in Los Angeles waren nervenaufreibend, faszinierend, freundlich
und extrem produktiv. McGoohan zeigte sich äußerst hilfsbereit,
rief auch David Tomblin und Lew Grade an - die eine teilnahme schon
abgelehnt hatten - und sicherte uns interviews mit ihnen nach unserer
rückkehr in London zu.
Es
ist nichts neues für SIX
OF ONE
zu hören, dass diese situation sich völlig umkehrte, nachdem
wir zurück waren. Laurens und ich waren zwar nicht ganz zufrieden
mit den ergebnissen, trafen McGoohan aber kurz vor Weihnachten in
Paris und zeigten ihm eine sehr unvollkommene schnittfassung auf
VHS in sechster kopiengeneration. Er hasste sie und forderte eine
riesen liste mit umfassenden änderungen, die man hier unmöglich
alle aufführen kann. Von den 52 minuten mochte er ungefähr
zwei. Und seine haltung verhärtete sich noch mehr, bei einem
überseetelefonat am ende der woche forderte er, dass die dokumentation
gar nicht gezeigt werden sollte. An diesem punkt wurden uns die
handlungsmöglichkeiten weggenommen. Anwälte von Channel
4 sahen sich das programm an (unter der androhung gerichtlicher
schritte bei einer ausstrahlung), wir konnten nichts tun außer
warten. Die entscheidung war dann "senden und verdammt werden"
- was kaum überrascht angesichts der kosten von 57.000 Pfund
in das, was sie als ihr programm ansahen, ohne an so etwas wie "verleumdung"
zu denken.
Als
produzierende, die wir zwischen achtung und verehrung für McGoohan
auf der einen und den anforderungen von Channel 4 auf der anderen
seite eingeklemmt waren, blieb uns nur eine wahl - uns mehr zeit
für die bearbeitung zu sichern, um zu versuchen, so viele von
McGoohans einwänden wie möglich richtig zu stellen, so
wie wir es für möglich und vernünftig hielten.
Ich
denke, McGoohan ist einem ganz zentralen irrtum erlegen - er hatte
sich bereit erklärt, in unserem film über THE PRISONER
mitzuwirken und uns soweit wie möglich zu unterstützen.
Das war ein fehler, denn obwohl ich froh bin, dass wir und nicht
jemand anders ihn gemacht haben - weil wir es uns vorgenommen hatten,
in der lage dazu und die richtigen leute waren - gibt es nur einen,
der einen film machen könnte, der McGoohan gefallen würde,
und das ist McGoohan. Zweifellos wäre dieser film zwar eher
voreingenommen aber auch brilliant. Weil wir aber McGoohan liebten
(und fürchteten, etwas anderes hätte ich auch nicht gewollt),
waren wir bedrückt, dass "unser film" nicht der war,
den er wollte. Wir konnten "seinen film" nicht machen
- wir sind nicht Patrick McGoohan.
Es
gibt unzählige möglichkeiten, eine dokumentation über
THE PRISONER zu machen. Für McGoohan gab es von anfang an keinen
grund, überhaupt eine zu machen. Aber er begeisterte sich für
die idee, nachdem wir uns getroffen hatten. Er drehte sogar zusätzliches
material sebst, nachdem wir weg waren, aber Channel 4 erlaubte uns
aus rechtlichen gründen nicht, es zu nutzen. Wir hatten uns
vorgenommen, etwas zu machen, das anders war, und dadurch erwies
sich, wie schwer es ist, es so zu machen, dass es funktioniert -
insbesonders mit nur wenig zeit, einem kleinen team und mit darin
verstrickten komplexen gefühlen.
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Unsere
absicht war nicht, das "geheimnis" des PRISONER zu erklären,
sondern zu erhalten. Durch unser nähe zur serie und unsere
ungeduld, ihr gerecht zu werden (und uns nicht mit ihr zu messen
oder sie auf die bühne zu stellen, wie manche dachten), unsere
ablehnung der herkömmlichen gleichgültigen und letztendlich
öden dokumentarfilme, zu dem schließlich Six Into
One: The Prisoner File geworden ist.
Unsere ambitionen passten nicht mit der zur verfügung stehenden
zeit zusammen bzw. mit einigen, die wir interviewt haben, die bei
der produktion der serie dabei waren, und für die eine "dokumentation"
bloß die geschichte erzählt. Und was die "wahrheit"
betrifft: Dokumentationen können nicht die wahrheit
erzählen, das liegt an der art und weise, wie filme entstehen.
Sie sind konstrukte wie andere filme auch, und als solche sind sie
"unehrlich". Manche tun so, als wäre es anders, andere
berücksichtigen diese unbestreitbare tatsache.
Leute sagen in interviews nun mal nicht die wahrheit. Wie auch?
Sie sprechen darüber, an was sie sich erinnern - ihre sicht
der dinge. Das ist häufig "wahrhaftiger" als ein
faktischer beweis. Wenn ein filmemacher in diesem komplizierten
prozess ehrlich sein will, heißt das für ihn oder sie,
diese mythische "wahrheit" zwischen den zeilen anzudeuten,
ihr so nahe, wie es geht, zu kommen; heißt das, dem raum zwischen
dem geschnittenen und dem anderen und, am wichtigsten, dem, was
passiert ist, einen echtes flair zu geben. Überlassen wir die
"wahrheit" den industrieschreiberlingen, die (wenn es
sie überhaupt interessiert) blöderweise glauben, dass
sie sie finden und auf film bannen können. Und die sich jenseits
dessen, was sie nach hause tragen wollen, anekdoten und einen dicken
scheck, um die opfer ihrer "wahrheit" nicht weiter scheren.
DAVE BARRIE ÜBER RODLEYS IN MY MIND
MEHR: DAS LA TAPE
IM GESPRÄCH: DAS TROYER-INTERVIEW
Ich
fühlte mich sehr geehrt, dass ich alle beteiligten der dokumentation
treffen und fast alle interviewen konnte. Wir waren auf nichts weniger
als einer rettungsmission unterwegs - haben versucht, einem kleinen
stück fernsehgeschichte zu ermöglichen, seine eigene geschichte
zu erzählen, ein paar der gesichter zu zeigen, bevor diese
geschichte unvermeidlich zur schönen erinnerung einiger weniger
geworden ist oder einfach nur zu worten auf papier. Aber gute absichten
sind gut und schön. Meine freude über die beendigung der
arbeit wurde durch die tatsache, dass unser endprodukt einige der
beteiligten enttäuscht, McGoohan verletzt und sein eigenes
brilliantes werk durch unsere weniger brillianten anstrengungen
niedergemacht hat, verdorben. Und ich spreche sicher für alle
beteiligten.
52
minuten konnten einfach nicht genug sein. Selbst das unbenutzte
material - der rest des eisberges, wenn sie so wollen - ist nicht
mehr als eine träne im ozean. Das ist letztlich die traurige
und faszinierende "wahrheit".
Der
artikel wurde 1985 für die SIX-OF-ONE-publikation "Number
Six", verfasst.
2017: "In My Mind". Die interviews mit Patrick McGoohan waren nur zum kleinen teil für die 1984er "Six Into One: THE PRISONER File" verwendet worden, nachdem McGoohan heftig opponiert hatte. Rodley hat seine alte doku neu geschaffen. Außerdem enthalten: Patricks tochter Catherine spricht über ihren vater. "In My Mind" ist in der jubiläums-DVD/BD-edition von Network enthalten. |