frauen
mit einkaufstaschen auf dem weg vom oder zum bäcker oder
metzger?
Und statt streunender hunde herumstolzierende pfauen*. Wo ist der
fehler?
D - O - R - F
Vier buchstaben im unteren bereich des fernsehbildes, ungefähr 14
mal zu lesen im vorspann der fernsehserie NUMMER 6, die schon lange
geschichte geschrieben hat. Langzeit-fans der serie hatten kaum
zu hoffen gewagt, dass es zu ihren lebzeiten noch zu einer
Dieser
artikel entstand 2006 nach erscheinen der ersten deutschen DVD-edition
bei Koch-Media. Die bemerkenswerten auffälligkeiten und fehler bei
der untertitelung wurden in der zweiten auflage 2010 nicht beseitigt. Diese edition profitiert allerdings wie die von "Network" vom restaurierten bildmaterial. |
vollständigen video- bzw. DVD-veröffentlichung kommen würde. Nun ist
sie da, und der erste gedanke beim wiedersehen mit dem serienvorspann,
bei nun eingeschalteten untertiteln, ist ein bekanntes sprichwort:
Ich glaub, ich steh im Dorf. Milder witz. Aber
wir stehen auch nicht im Dorf, sondern im Village.
Und das macht den unterschied. Denn das Village heißt
im wirklichen leben Portmeirion.
Im
etymologischen wörterbuch des Duden erfahren wir zu dem
begriff DORF: "gemeingermanisches wort ...
althochdeutsch, mittelhochdeutsch dorf, englisch thorp,
gothisch thaurp ... bezeichnet, abgesehen vom gothischen,
wo es 'acker' bedeutete, eine bäuerliche siedlung,
vielfach auch einen einzelhof. Verwandte wörter wie kymrisch
(= walisisch) treff 'wohnung' ... lateinisch trabs
'balken' machen eine grundbedeutung 'balkenbau, haus'
wahrscheinlich, die sich je nach der siedlungsform wandeln konnte." |
Koch-Media,
die produktionsfirma, die NUMMER 6 erstmals in Deutschland auf DVD
herausgebracht hat, verfolgte bei der untertitelung der serie den
ehrenwerten gedanken, bei der übersetzung "so wörtlich
wie möglich" vorzugehen; ziel war es, die dialoge der
vorhandenen deutschen synchronfassung nicht eins zu eins zu übernehmen,
was gar nicht möglich gewesen wäre, denn es hätte
das format gesprengt. Und
sie haben schließlich recht, man kann es nachschlagen, in
jedem englisch-deutschen wörterbuch findet sich unter deutsch
dorf englisch village bzw. umgekehrt. Was soll das also?
JOACHIM BRINKMANN - SYNCHRONREGISSEUR
MEHR: INJEKTIONEN
DIE ARTE-NEUSYNCHRO VON VIER EPISODEN
GUILLAUME GRANIER: SCHÖNER TAG! - SPÄTER REGNET ES!
MEHR: LARRY HALL: WHAT IT MEANS, NOT WHAT IT SAYS
Das
dumme ist, in einigen fällen hat man wörtlichkeit mit
"was im wörterbuch steht" verwechselt. Dabei wurde
nicht nur das wort, sondern auch der geist des programms beschädigt.
Zur ehrenrettung sei gesagt, geschätzte 90 prozent der untertitel
gehen anstandslos durch. Aber da bleibt ein rest, der einen ins
stolpern bringt...
Sprechen
Sie einmal folgende sätze laut vor sich her, achten Sie dabei
auf den sprechrhythmus:
Where
am I? - In the Village.
What do you want? - Information.
Und
nun dasselbe (?) auf deutsch:
Wo
bin ich? - Sie sind da.
Was wollen sie? - Informationen.
Und
nun dasselbe (?) noch einmal auf deutsch:
Wo
bin ich? - Im Dorf.
Was wollen sie? - Informationen.
Im
etymologischen wörterbuch des Duden lesen wir zu dem begriff
VILLA: "Bezeichnung für 'landhaus,
vornehmes einfamilienhaus, einzelwohnhaus' wurde im 17.
jahrhundert aus gleichbedeutend italienisch villa entlehnt,
das auf lateinisch villa 'landhaus, landgut' beruht ...
Das lateinische wort stellt sich zu vicus 'gehöft, häusergruppe,
dorf, flecken'... WEILER, althochdeutsch wilari,
mittelhochdeutsch wiler - 'keine eigene gemeinde bildende
kleine ansiedlung' - ist aus mittellateinisch villare
'gehöft' entlehnt... |
Der
unterschied? Ist der von gesprochener zu geschriebener sprache.
Ist der von hörbarem dialog zu gelesenen untertiteln auf dem
fernsehbild. Ist die trotz lexikalischer richtigkeit vom wortursprung
her zumindest ungeschickte übersetzung. Ist das Brinkmann'sche
schillern der begriffe schon im allerersten satz der serie, eine
ambivalenz, paradoxer und zugleich reduzierter als selbst das englische
original.
Der
unterschied ist, dass wir gehörtes, wie etwa synchrondialoge,
gleichsam "naturwüchsig" wahrnehmen, gelesenes aber
intellektuell erfassen. Daher, und weil wir diese zeilen seit über
30 jahren kennen und schätzen, das stolpern. Der auf dieser
website grundsätzlich bevorzugte und benutzte ausdruck Ort
lädt in diesem speziellen fall im übrigen ebenfalls zum
stolpern ein.
Auf
wessen seite sind Sie?
Whose side are you on? - Das käme darauf an.
Auf der des kodifizierten wissens à la wörterbuch oder
auf der der inhaltlichen übertragung bei größtmöglicher
prägnanz? Das käme darauf an... Warum sollte man das bei
untertiteln nicht auch tun?
Auf
wessen seite sind sie? - That would be telling. - Wir sind auf der
richtigen seite.
Und
nun dasselbe (?) noch einmal auf wörterbuchdeutsch:
Auf
wessen seite sind sie? - Das würde uns verraten.
Wenigstens
ins stolpern gerät man hier nicht. Aber halt, ganz so wörtlich
ist es auch nicht, eher interpretierend, was erlaubt ist: Was wäre
das, wenn man preisgäbe, auf wessen seite (politisch betrachtet)
man steht - verräterisch? Viel sagend ist das
wörterbuch, aufschlussreich, wirkungsvoll, nachdrücklich.
LE
PRISONNIER, die französische variante von NUMMER 6,
dieser blick über den linguistischen zaun sei gestattet, belässt
es einerseits, wenig überraschend, bei "Village"
und überträgt die andere stelle, wenngleich unpoetisch
und wenig viel sagend:
Où suis-je ?
Au Village.
Qu'est ce que vous voulez ?
Des renseignements.
Dans quel camp êtes-vous ?
Vous le saurez en temps utile... Nous voulons des renseignements,
des renseignements, des renseignements.
Vous n'en aurez pas !
De gré ou de force, vous parlerez.
Qui êtes-vous ?
Je suis le nouveau Numéro Deux.
Qui est le Numéro Un ?
Vous êtes le Numéro Six.
JE NE SUIS PAS UN NUMÉRO, JE SUIS UN HOMME LIBRE !
Ha ! Ha ! Ha ! Ha ! ...
"Vous
le saurez en temps utile..." - "Das erfahren
sie zu gegebener zeit." Wir jedenfalls sind auf der richtigen
seite.
Nummer Eins hält sich bedeckt und antwortet ausweichend - das
tut auch Brinkmann, und zwar so konsequent, dass er die atmosphäre
des vagen, indifferenten stärker nachbildet, als das original
sie vorgibt. Er meidet den provinzialismus des begriffs Dorf,
umschreibt die lokalität mit Ort, hier,
Gemeinschaft, Gemeinde. Er verweigert
dem ort einen namen, den der Ort im englischen sogar hat:
Weil The Village auch der eigenname des Ortes
ist, ganz so wie die berge - the mountains - The Mountains,
das meer - the sea - The Sea, der strand - the beach - The
Beach heißen. Einer der großartigsten schockmomente
der serie, womöglich der filmgeschichte. Wir sind es so nicht
gewöhnt. Bezeichnung und bezeichnetes sind an diesem Ort
ein und dasselbe, wieder einer der kleinen tautologischen zirkel,
die die serie auszeichnen. Allein darum ist die untertitel-übersetzung
Dorf falsch.
Anhand
einer ganzen reihe von beispielen kann man zeigen, dass die vermeintliche
wörtlichkeit mal mehr, mal weniger strikt gehandhabt wurde.
Eine linie ist jedenfalls kaum erkennbar. Wohl gegen die erklärte
absicht hat man doch eher unstringent nebeneinanderher übersetzt.
Wie sonst kommt es zu einem echten inhaltlichen fehler in der episode
"The Schizoid Man" ("Der Doppelgänger"),
wo das entscheidende passwort einmal deutsch mit "Zwilling"
übersetzt, beim nächsten mal dagegen im original "Gemini"
belassen wird, was bei newcomern für verwirrung sorgen muss.
Weißer
Alarm! Weißer Alarm!
Den
schlachtruf hat Joachim Brinkmann dem Supervisor in den mund gelegt,
immer dann, wenn ein gefangener die grenzen des Ortes zu
verlassen oder allgemeiner aufruhr droht. Auftritt der weiße
ballon Rover.
Hier nun sind die untertitel absolut buchstäblich: Oranger
Alarm! wird gegeben, ohne rücksicht auf sinnhaftigkeit
oder verständlichkeit. Zwar heißt es im original wirklich
Orange Alert!, aber wieso orange? Der ballon
ist weiß.
Wusste
Brinkmann davon oder nicht? Die farbe hat überhaupt nichts
mit dem ballon Rover zu tun, sondern ergibt sich aus der alarmskala
des anglo-amerikanischen militärwesens, wo orange die zweithöchste
stufe unterhalb von rot darstellt. Übersetzung ist, eine entsprechung
für etwas zu finden, das in der zielsprache so nicht existiert.
According
to Hoyle
In
der episode "Freie Wahl" wird Nummer Sechs von Nummer
Zwei in seiner wohnung aufgesucht, nachdem er ihn am telefon beschieden
hatte: "The mountain can come to Mohammed." Ein kleines
wortgefecht entspinnt sich. In erwiderung auf dessen antwort fragt
Nummer Sechs Nummer Zwei: "Playing according to Hoyle?"
Dieser: "There are all cards on the table."
Nun
ist diesmal in den untertiteln beinahe wörtliches zu lesen,
Nummer Sechs: "Ein spielchen im sinne von Hoyle?" Nummer
Zwei: "Alle karten auf dem tisch." Fast alles richtig.
Aber wer weiß schon, was gemeint ist - wer oder was ist Hoyle?
Zwar steht ein schachspiel auf dem tisch, das aber ist eher die
materialisierte metapher für den sinn dieser dialogzeile, Nummer
Sechs: "Sie spielen ehrlich?" - Nummer Zwei:
"Mit offenen karten." Letzten endes ist dies ein
typischer schachzug der verantwortlichen im Ort.
Offensichtlich geht es hier nicht um irgendein spiel. 1742 verfasste
Edmond Hoyle ein regelwerk über das kartenspiel "Whist",
das als Bridge-vorläufer gilt. Es handelt sich demnach um eine
abgeleitete redensart, recht gut vergleichbar der deutschen
"nach Adam Riese..."
Die
bedarf aber einer ähnlich adäquaten übertragung wie
das berühmtere "Six
of one,
half a dozen of the other."
Brinkmann
belässt es bei einer umschreibung, die jedoch dem anlass entspricht (und wofür es auch ein deutsches pendant gibt:
"Spielt doch keine rolle", "Ist doch jacke wie hose"): "Das
eine schließt das andere doch nicht aus." In
den untertiteln wird daraus tatsächlich: "Sechs für
den einen, ein halbes dutzend für den anderen."
Was sachlich korrekt sein mag, aber idiomatisch
völlig daneben ist, on the woodway, sozusagen. Und "wat
dem einen sin Uhl, ist dem annern sin Nachtigall" noch
lange nicht. Da wundert man sich auch nicht mehr, wenn sogar Shakespeare
interpretatorisch sein fett wegkriegt und in der episode "Pas
de deux" aus den "sieben zeitaltern des menschen"
die "sieben phasen des mannes" werden. Nur
einfältig statt sorgfältig.
Bleibt
am ende die feststellung, dass NUMMER 6 glücklicherweise auch
nur eine fernsehserie ist. Der übergroße rest an dialogen
ist business as usual. Jüngere menschen, ohne langjährige
kenntnis der synchronfassung, mögen anders urteilen. Aber so
viel an herzblut musste einfach sein.
JOACHIM BRINKMANN - SYNCHRONREGISSEUR
MEHR: INJEKTIONEN
DIE ARTE-NEUSYNCHRO VON VIER EPISODEN
MEHR: LARRY HALL: WHAT IT MEANS, NOT WHAT IT SAYS
GUILLAUME GRANIER: SCHÖNER TAG! - SPÄTER REGNET ES!
* Nachsatz: Noch zu beginn der 1990er jahre liefen in Portmeirion mehrere pfauen frei herum. Einige zeit später waren sie verschwunden, warum ist nicht bekannt. |