erforderte die 480 km lange fahrt nach Portmeirion für diejenigen, die es noch nie zuvor unternommen hatten, zunächst
den blick auf einer karte. Straßenkarten, die einen schnellen
überblick gestatteten, gab es noch nicht. Stattdessen mehrseitige kleinformatige ausschnittskarten in handbüchern
von automobilclubs. Oder aber umständlich zu handhabende faltpläne,
die den innenraum eines fahrzeugs ausfüllten und einen beifahrer
nötig machten, der zugleich nach
herumstreunenden
schafen ausschau hielt. Und die gab es zuhauf auf den gewundenen
straßen, fahrzeuge hatten sie wohl nicht im sinn (wahrscheinlich
weil sie kaum welche zu gesicht bekamen).
AUS DEM ENGLISCHEN VON ARNO BAUMGÄRTEL |
Tankstellen
bestanden gewöhnlich nur aus einer zapfsäule, dazu ohne
jedes lebenszeichen. Sich unterwegs einen snack besorgen zu wollen,
war recht sinnlos, denn es gab keine verkaufsstellen dafür,
abgesehen von merkwürdigen schildern, auf denen eier, selbst
angebautes gemüse oder einige wenige obstsorten feilgeboten
wurden. Aber dennoch, ein gewisses abenteuergefühl, der ruf
der wildnis und die suche nach der eigenen bestimmung hielten einen
bei der stange (oder aber nagender hunger und die angst, sich für
immer zu verirren). Die
tatsache, dass das autobahnnetz und das mehrspuriger schnellstraßen
30 jahre zurück deutlich weitmaschiger war, bedeutete eine
sehr lange reise. Frust kam auf, wenn man im verkehr fest hing,
in einer schlange hinter einem wohnwagen
oder einem landwirtschaftlichen
fahrzeug. Trotzdem - navigation, erfrischungen, reisepausen hin
oder her - es half nichts, man musste weiter. Übelkeit auf
reisen aufgrund der kurvigen straßen, dazu quälender
zweifel, warum man sich nur auf so eine blöde expedition eingelassen
hatte und ein ungeduldiger motorradfahrer, der einem am heck klebte,
waren eigentlich ausreichend für einen heiligen eid.
Der
erste erhellende moment kam hinter Penrhyndeudraeth in Minffordd
mit dem gemalten hinweisschild auf Portmeirion. Man fragte sich,
ob die enge straße nach der scharfen rechtsbiegung wirklich
richtig sein konnte, mit regennassen blumen und sträuchern
am rand eines kaum erkennbaren weges sowie unbeteiligt blickenden
schafen und kühen. Das
hospital kam plötzlich sicht, sorry, natürlich Castell Deudraeth, zeichen, das man auf dem richtigen weg
war, trotz eines unguten gefühls nach stunden der fahrt und
der unsicherheit, nicht zu wissen, wann man denn zuletzt etwas gegessen
hatte. Vorherrschend war die spannung, vom ziel nicht mehr weit
weg entfernt zu sein. Nachdem man torbögen passiert und die
prächtige ansammlung der gebäude vor augen hatte, wurde
endlich alles entscheidend besser. Die episode "Die Ankunft"
brachte die eigenen gefühle genau auf den punkt.
Man
erwachte sonntagsmorgens mit großen erwartungen, die ein,
zwei stunden später wie ebenso während des restlichen
tages herb enttäuscht wurden, indem man fest stellte, dass
Wales sonntags geschlossen war. Konnte etwas schlimmer sein? Ja,
wirklich, denn die gegend war auch "trocken", was bedeutete,
alkohol war illegal wie in einigen staaten des mittleren westens.
Die stimmung aber war noch gut, nach der erfolgten sicheren ankunft,
und schließlich wurde es wie immer Montag, man konnte einkaufen
gehen oder kreatürlichen regungen nachspüren.
In
Porthmadog gab es damals keine pilze zu kaufen. Die kamen erst jahre
später auf und mussten den einheimischen wie verdächtige
gegenstände aus dem westen vorgekommen sein, weder obst noch
gemüse. Supermärkte gab es ebenfalls keine, dafür
kleine läden, die die zeit für das einkaufen verdoppelten,
aber auch zu einer interessanten erfahrung werden ließen (im
gegensatz zum heutigen gemächlichen schritt mit einkaufswagen
und unter musikbegleitung durch hell erleuchtete gänge).
Die einheimischen verwendeten ihre eigene sprache und fielen nur
ab und zu für einen einkäufer ins englische. Schließlich
war man voll beladen, dazu eine komische flasche wein und das auto
aufgetankt. Auf diese weise gestaltete sich die aussicht auf den
rest der woche komfortabel und luxuriös.
Zu diesen zeiten war das gefühl, "von allem weg"
zu sein, größer als bei einem besuch in Clough Williams-Ellis'
kreation heute. Das soll nicht heißen, den wunderbaren ort
zu verkennen. Aber da ist noch eine stille sehsucht nach den alten
tagen: die gebäude nicht in strahlenden farben, weniger besucher,
urwälder ohne durchs dickicht geschlagene pfade und schilder
wie heutzutage, und natürlich nicht all der zierrat des 21.
jahrhunderts. Noch ein paar - inzwischen gepflasterte - stufen weiter
hinunter, die gezeiten, das watt, alles war völlig anders.
In den schläfrigen läden wurden sachen angeboten, die
den eindruck machten, als hätten sie schon sehr lange zeit
dort verbracht, bis jemand kam, um sie zu kaufen. Dabei könnte
sich niemand über die einrichtungen des modernen Portmeirion,
die einen aufenthalt heute so angenehm machen, beklagen. Bei allen
einschränkungen bleibt doch ein nostalgischer blick zurück.
30
jahre früher trottete man zur ehemaligen rezeption im hotel-hauptgebäude
(bevor es 1981 leider durch einen brand zerstört wurde) und
wurde den eindruck nicht los, gerade ein museum oder ein stattliches
anwesen betreten zu haben. Das hotelpersonal nach freizeitaktivitäten
gefragt, nach unterhaltung oder was man sonst so tun könnte,
ergab immer dieselbe antwort, dafür müsse man nach Porthmadog
gehen. So blieb alles, was es gab an aktivitäten, ein schuhwerk-ruinierender
fußmarsch über "schlammigen" sand, das eintauchen
in einen "eisigen" swimmingpool, eine selbst gemachte
tasse tee in der unterkunft mit selbstverpflegung oder der blick
aus dem fenster in den regen.
BLICK: BILDER AUS WALES - REISENOTIZEN
VIELE WEGE NACH WALES UND PORTMEIRION
MEHR: PORTRÄT EINES EXZENTRIKERS
Die
rückkehr in die "zivilisation" erwartete einen schon
freitagsabends. Man blieb, so lang es ging am Samstagmorgen, wollte
diese fremde und faszinierende umgebung nicht verlassen, die einem
in den sieben tagen die sicht auf die welt so verändert und
gleichzeitig seele, geist und körper verjüngt hatte. Die
annäherung an die heimatstadt brachte einem stunden nach der
abfahrt den kontrast zwischen der eigenen täglichen umgebung
und derjenigen, die man eben hinter sich gelassen hatte, scharf
ins bewusstsein, als wäre es ein weit entferntes "fremdes"
land.
Seltsam,
gerade die frühen tage sind es, die einem, nach so vielen fahrten
nach Portmeirion, im gedächtnis bleiben.
Dieser
text erschien im Juli 2007 im mitgliedermagazin "Free For All"
der Prisoner Appreciation Society SIX OF ONE (hier leicht gekürzt).
Wales-fotos:
Arno Baumgärtel
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