Weil er
nicht nur ein guter Schauspieler, sondern auch und vor allem ein großer Moralist ist. Weil er _selber die Ideen zu seinen Sendungen entwickeln wollte. Und die Hauptrolle spielen. Und Regie führen. Und produzieren. Als
Gegenstück zu dem Dauerflüchtling Dr. Richard Kimble erfand
er den Dauergefangenen Nummer sechs. Den Menschen in der absoluten
Diktatur, umgeben von Geschöpfen, die so manipuliert sind, daß
sie keinen eigenen Willen mehr haben. Das US-Fernsehen,
geblendet vom Ruhm des John-Drake-Darstellers, kaufte blind 30 Folgen
des Gefangenen Nummer sechs. Bezahlte, ehe der erste Meter Film
gedeht worden war.
NUMMER 6 - DEUTSCHE TV-PREMIERE AM 16.08.1969
Es wurden nur 17 Folgen gemacht. Danach liefen die Geldgeber wie
Publikum Sturm gegen das Experiment. Weil Patrick McGoohan mit geheiligten
Krimitradifionen brechen wollte:
· Es gab in keiner Folge der Serie eine Lösung. Nummer
sechs war zu Beginn der Folge so gefangen wie am Schluß;
· als strenggläubiger Katholik lehnte er es ab, vor
der Kamera zu küssen, und verprellte die Zuschauerinnen, die
sehen wollten, daß auch ein Supermann in den Armen einer Geschlechtsgenossin
schwach wird;
· er lehnte es ab, mit einer Pistole über die Mattscheibe
zu huschen, und langweilte die Männer, die Gegner unwiderruflich
ausgeschaltet wissen wollen.
Patrick McGoohan hatte schon die Produzenten der "John-Drake-Serie"
zum Weinen gebracht. Jedes Drehbuch ließ er umschreiben. "Die
meisten Szenen waren mir zu unmoralisch", sagt der seit 18
Jahren mit der gleichen Frau glücklich verheiratete. "Jede
Woche sollte ich eine Affäre mit einem anderen Mädchen
haben. Und wenn ich nicht gerade in einem Schlafzimmer war, hätte
ich schießen müssen. Das mußte ich ablehnen. Über
die Fernsehschirme spritzt ohnehin genug Blut, wenn die Nachrichten
gezeigt werden. Und es werden so viele Betten zerwühlt, daß
ich meine Töchter am liebsten vom Fernseher weghalten möchte."
McGoohans Töchter sind sechzehn, neun und sechs Jahre alt.
"Das Fernsehen", so räsonniert er weiter, "hat
sich sich zu einem Monstrum aufgebläht. Es hat sich noch nicht
auf seine Verpflichtung besonnen, die es der unkritischen Masse
gegenüber hat."
Also
sprach der Moralist, setzte sich hin und schrieb die Geschichte
des Gefangenen Nummer sechs. In dieser Figur wollte er der unkritischen
Masse zeigen, welche geheimen Mächte das Leben des einzelnen
wirkungsvoll manipulieren können.
Nun ist Patrick McGoohan zwar ein Moralist, aber kein Illusionist.
Als alter Fernsehhase weiß er, daß man sogar Wahrheiten
nur an den Mann bringen kann, wenn man sie wirkungsvoll verpackt.
Und das versuchte er.
Mit dem eigenwilligen schwarzen Humor der Engländer dachte
er sich noch einen Trick aus: Er ließ die Superelektronentechnik
in einem schnulzigen Zuckerbäckerstil-Kaff agieren. Erst nach
Drehschluß erfuhr man, daß es den Ort wirklich gibt.
Vorher hatte Patrick McGoohan das nur über eine Privatstraße
in Nordwales zu erreichende Feriendorf Portmeiron absperren lassen,
damit ihm niemand in das Drehbuch schauen kann.
"Wenn mein Experiment schiefgeht, hat niemand schuld als ich
selbst", hatte er vor Beginn der Dreharbeiten gesagt. Und nun
ist es in England schiefgegangen. Und es ist gar nicht so sicher,
ob Patrick daran schuld ist.
Er tat, was er konnte. Aber das Publikum, amüsiert durch Hekatomben
von Fernsehleichen , abgebrüht durch Meere von Atelierblut,
war nicht willens, geistige Foltern mitanzusehen.
McGoohan:
"Die Serie handelt von der Entmenschlichung, vom Verlust der
Individualität, der uns allen widerfährt. Das wollte ich
mit ihr sagen. Aber es scheint, daß ich mich meinem Publikum
nicht verständlich gemacht habe." Und mit dieser Feststellung
erntete er ungeteilte Zustimmung.
"Etwas Unverzeihlicheres, als unverständlich zu bleiben,
gibt es nicht", schrieb der Daily Express. Und das Zweite Deutsche
Fernsehen, das die "Nummer sechs"-Serie in Deutschland
bringt, läßt den Ex-Agenten, die "Nummer sechs",
erst eine Stunde vor Mitternacht aus dem Kasten. Denn Genuß
ohne Reue wird diese Serie nur dem bieten, der neben dem Bett das
Fernsehgerät als das wichtigste Möbelstück ansieht.
Patrick
McGoohan hat nach seinem selbstgebastelten Fernsehfiasko den Serien
erst einmal Lebewohl gesagt. Ging nach Hollywood und drehte mit
Rock Hudson einen Film. Und was spielt er da? Einen Geheimagenten
natürlich. Kuk
NUMMER 6 - DEUTSCHE TV-PREMIERE AM 16.08.1969
Dieser
beitrag erschien am 16.08.1969 in der fernsehzeitschrift HÖR ZU.
Für die freundliche genehmigung zur wiedergabe an dieser stelle
bedanke ich mich beim verlag Axel Springer! Die weiterverbreitung
dieses textes ohne genehmigung ist nicht gestattet.
Bildmaterial:
privatarchiv Michael Brüne |