enthüllung der Nummer Eins in der letzten folge
die sozusagen zirkuläre oder rekursive realität.
Mit einer objektiven realitätsanschauung, bei der man davon
ausgeht, dass alles, was man sieht, objektiv von jedem gleichermaßen
als "wahr" erachtet werden kann, scheitert man in dieser
welt schon vorn vornherein obwohl paradoxerweise natürlich
genau das dem neutralen zuschauer notwendig abverlangt wird. Eine
egozentrische perspektive, die nur das für real hält,
was man (in dem falle Nummer Sechs) selbst wahrnimmt, einen selbst
quasi zum "schöpfer" der welt macht, die mit dem
eigenen tod aufhört zu
existieren (man kann sie selbst ja
nicht mehr wahrnehmen), hilft zwar Nummer Sechs, in seinem goldenen
käfig sich treu zu bleiben, kann aber am ende nur seiner suche
nach antworten, nach dem dahinter in die quere kommen: So führt
die suche nach antworten der albtraum jedes ermittlers -
letztlich zu ihm selbst. Die realität wird ad absurdum geführt,
sie schließt sozusagen einen ring in sich selbst.
Das gegenstück zu dieser egozentrischen suche nach antworten
ist der umgekehrte blick der anderen: herauszufinden, warum Nummer
Sechs seinen dienst quittiert hatte.
Das zirkuläre Organisationsprinzip wird überdies symbolisch durch den Kreis visualisiert. Als Leitsymbol der Serie fungiert ein altmodisches Hochrad, das zum einen auf den Ansteckern zu sehen ist, die jeden Einwohner mit seiner Nummer identifizieren, und zum anderen mit auf der Stelle drehenden Rädern den Abspann einleitet.
In den beiden Schlussfolgen gelingt es Number 6 schließlich, das Village zu zerstören und nach London zurückzukehren, doch signalisiert die Serie, dass Number 6 nicht wirklich in Freiheit ist. Unter anderem entspricht die letzte Einstellung der Serie dem Beginn des Vorspanns und damit dem Auftakt der Serie überhaupt – und jeder ihrer Folgen. Zirkularität organisiert hier also nicht nur die einzelne Folge, sondern die Serie insgesamt. Das Ende des Zyklus signalisiert lediglich, dass wir in einen neuen Zyklus eintreten und die geglückte Flucht wieder nur eine scheinbare Befreiung darstellt, weil ein wirkliches Außen des Village und der episodischen Erzählung nicht gegeben ist.
Jens Ruchatz: "Sisyphos sieht fern oder Was waren Episodenserien?" in: ZFM Zeitschrift für Medienwissenschaft 7, Zürich 2012 |
DAS
SPIEL MITSPIELEN
Zwei konzepte, die sich zumindest aus sicht des objektiven
zuschauers - eigentlich widersprechen: Einmal wird die geschichte
aus sicht des absoluten individuums erzählt, dann wieder aus
der der gesellschaft. Hier möchte ich Arno Baumgärtel
widersprechen: "Warum jemand in einen goldenen käfig
sperren, wenn man konformes verhalten erzwingen oder informationen
mittels technischer maßnahmen, drogen oder gehirnwäsche,
erhalten kann?" Zum einen: Wie einige folgen zeigen, helfen
technische maßnahmen eben nicht weiter, um aus ihm herauszuquetschen,
was er für motive hatte, sodass er aufhörte. Zum anderen:
Natürlich könnte man ihn mittels drogen und gehirnwäsche
ruhigstellen oder konformes verhalten erzwingen, wenn man angst
hätte, dass er mit seinen strengvertraulichen
SERIENSYNCHRONISATION & SYNCHRONFORUM
MEHR: INDIFFERENZ
MEHR: LETZTES JAHR IN MARIENBAD
SYNCHRONREGISSEUR JOACHIM BRINKMANN
TAXIFAHRT: FAHREN SIE MICH SO WEIT SIE KÖNNEN!
50 JAHRE NUMMER 6 - BERICHT
informationen
einen schaden bewirken könnte. Nur geht es darum gar nicht
(wie Nummer Zwei in "Die Glocken von Big Ben" auch betont).
Sie [anm.: die verantwortlichen des Ortes] treibt das absolute unverständnis für das konzept
individuum an. Wie kann jemand unkooperativ sein, wenn er doch scheinbar
gar keinen grund hat, wenn es ihm doch gutgehen könnte, würde
er einfach das spiel mitspielen? Mehrmals negiert eine Nummer Zwei die vorteile des individuum-seins,
dabei wäre genau das der schlüssel, Nummer Sechs' entscheidung
zu begreifen.
So paradox das auch klingt: Einsicht hätten sie
erst gewonnen, wenn sie akzeptieren würden, dass sie keine
einsicht darüber erlangen können, warum er aufgehört
hat.
Am Samstag, 12. Oktober 2019, sollte Bernd der Gast bei "50 Jahre Nummer 6 / The Prisoner" sein. Er war daran beteiligt.
Bernd Rumpf
21.03.1947 - 01.10.2019
Wie mir von verlässlicher Seite mitgeteilt wurde, ist Bernd Rumpf nach langer Krankheit verstorben. Von den vielen wunderlichen Gestalten im Synchron war er jemand, mit dem ich mich überdurchschnittlich gut identifizieren konnte (nicht nur aus optischen Gründen). Er machte in Interviews auf mich einen sehr intellektuellen, gebildeten Eindruck, dabei aber alles andere als unsympathisch. Im Gegenteil erzählte er private kleine und größere Erfolge mit einer Mischung aus diebischer, aber auch geradezu wieder unschuldig kindlicher Freude (wie er sich zum Beispiel raffiniert Alan Rickman "erschlichen" hat). Als Regisseur soll er sehr unkompliziert gewesen sein, habe diese ganzen bösen Spielchen in der Branche nie mitgespielt. Natürlich hatte er auch seine Leute, die er weniger sympathisch fand, habe aber immer darüber gestanden. Auch das hat die sehr bunte, nachgerade enzyklopädische Besetzung seines Regie-opus-magnum COLD CASE ermöglicht.
Bernd Rumpf hat es mehrmals geschafft, zu einer mindestens ebenbürtigen Neubesetzung zu werden: Nach dem überraschenden Tod Erich Hallhubers übernahm er nicht nur dessen Snape in der HARRY-POTTER-Reihe, sondern wurde fortan sogar Alan Rickmans Stammsprecher als vielleicht einziger, der seine betörende Originalstimmwirkung nachempfinden konnte.
In nachträglich synchronisierten Folgen und Szenen der absonderlichen Serie NUMMER 6 hat er Patrick McGoohan in der Titelrolle übernommen. Die Arbeit stand und fiel mit dieser Besetzung, weil er zum einen seinem Vorgänger Horst Naumann in Stimme und Diktion ähneln musste, zum anderen die gesamte Intellektualität, Entschlossenheit, aber auch stille Heiterkeit dieses unenträtselbaren Mannes transportieren musste. Es ist ihm perfekt gelungen.
Gewünscht hatte ich ihn mir auch schon längere Zeit einmal für Kelsey Grammer, der schon genial von Randolf Kronberg und Frank Otto Schenk gesprochen wurde, und in THE LAST TYCOON habe ich ihn dann auch endlich hören dürfen. Es war ein absoluter Genuss.
Umgekehrt scheint er sowohl bei Bierstedt- als auch bei Umbach- Befürwörtern gleichermaßen als früher Clooney-Sprecher in FROM DUSK TILL DAWN problemlos aufgenommen worden zu sein.
Vielen Dank für diese immense, uns so bereichernde Lebensleistung. - Tobias
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Die
serie als ganzes (in dem umfang wie sie es nach Deutschland geschafft
hat, aber wohl auch mit den ausgelassenen folgen) wirkt wie ein
fragment nicht, dass eine "vollständige" fassung
weniger rätselhaft wäre und sinn ergeben würde.
Sie erinnert mich an Georg Büchners "Woyzeck", das
ebenfalls um das völlige unverständnis der gesellschaft
mit ihren konformen vertretern für das aufständlerische,
revoltierende individuum handelt. Die szenen wirken ebenfalls wie
fragmente und in der wahrnehmung stark verzerrt. Daher ist wie bei
der serie auch umstritten, was eigentlich die "richtige"
reihenfolge der episoden ist und letztlich, von einem gewissen
rahmen abgesehen, auch egal. Es tut nichts zur sache.
WAHRE
ANTWORTEN
Gedanken
über die sinnhaftigkeit von antworten und erklärungen
haben sich schon die alten griechen gemacht: es war Epikur, der
durch naturwissenschaftliche aufklärung den menschen die sorgen
vor dem übermächtigen nehmen wollte. Doch führt seine
lehre bei genauerem studium zu der verblüffenden erkenntnis,
gar nicht auf alles die "richtige" haben zu müssen
usw.
DEUTSCHE
FASSUNG:
"GROSSER BLICK FÜRS GANZE"
Zur
deutschen fassung: Es beunruhigt mich jetzt etwas, von Patrick McGoohans
fragmentwerk auch nur wieder ein fragment gesehen zu haben und dass
dabei gleichzeitig auch in die reihenfolge eingegriffen wurde
ein bisschen ist zwar jetzt logischer oder schlüssiger, dem
gegenüber stehen aber immer so viele löcher, aber andererseits
muss man schon sagen, dass die deutsche bearbeitung sehr gelungen
ist und man sich doch, soweit das möglich war, dem deutschen
publikum angenähert, die rezeption erleichtert hat. Vor
allem muss Joachim Brinkmann ein sehr gutes sprachgefühl, aber
auch einen großen blick fürs ganze gehabt haben.
"Where
am I?" "In the village": Da hätte
"Sie sind im dorf"durchaus nahegelegen. Mit "dorf"
hätte man ja durchaus sofort assoziationen mit einem ruhigen,
vom wirbel der moderne unberührtem dorfleben wecken können.
Stattdessen aber etwas viel interessanteres: "Sie sind
da". Herrlich mehrdeutig zu verstehen: Einmal "Sie
sind existent", "Sie sind (fingerzeigend) genau da an
dieser stelle" oder "Sie sind angekommen."
Und keine interpretation dieser völlig legitimen antwort hilft
irgendwie weiter...
Interessant
finde ich übrigens, dass Jürgen Claussen mehrmals einen
hippie sprechen durfte [Anm.: Alexis Kanner in "Demaskierung"].
Außer hier noch im Musical-Film HAIR (1979) und noch mal in
der RAUMSCHIFF ENTERPRISE - FOLGE "Die Reise nach Eden"
(~1984).
Tobias Becker betreibt die website "Synchronforum" über film- und seriensynchronisation und hat wesentlichen anteil an der identifizierung der stimmen der
deutschen PRISONER-fassung. Dieser beitrag stammt von 2006. Bernd Rumpf als neue synchronstimme für Patrick McGoohan für die ARTE-bearbeitung 2010 war sein vorschlag.
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